Februar 2004 - Ausgabe 54
Das Thema des Monats
Der Traum vom Kaufhaus Kreuzberg von Hans W. Korfmann Fotos: Michael Hughes |
Manchmal kommen welche und stehen, den Reiseführer in der Hand, vor dem Halbkreis am Kottbusser Tor und suchen das »Kaufhaus Kreuzberg«. 50 Läden auf 1200 Quadratmetern mit einem Café auf der Dachterrasse, ein alternatives Shopping-Center nach Vorbild eines Szenekaufhauses in Manchester, geplant inmitten einer brüchigen und schmucklosen Zementburg, aber das preisgekrönte Projekt des dritten Berliner Ideen- und Gründerwettbewerbs. Ein Modell, das die Stadträte begeisterte und sogar die Berliner Banken zu einem deutlichen Nicken bewog: Immerhin 320000 Euro Startkredit wäre die Investitionsbank Berlin bereit gewesen, der Initiative zu übergeben, die sich um Richard Stein, den ehemaligen Betreiber des legendären SO 36, gebildet hat. Eine Symbiose, die man sich in den besten Zeiten der alternativen Hinterhofclubkultur kaum hätte vorstellen können. Aber nach vielen Jahren der Auseinandersetzungen zwischen Punks und Stadtvätern, Weltverbesserern und Status-Quo-Konservierern haben beide Seiten eingesehen, daß die Welt so schwarz und weiß nicht ist, wie man sie gerne hätte. Und daß man im Alter mit Grautönen leben muß. Also setzten sie sich an einen Tisch: Auf der einen Seite die Verwalter eines gigantischen Wohnblocks, der, belastet mit rund 50 Millionen Euro, im November endgültig vom staatlichen Finanztropf kommen soll, welcher ihn seit über 20 Jahren künstlich am Leben erhält. Und auf der anderen Seite die vom Erfolg hinter bröckelnden Fassaden verwöhnten Unternehmer aus der Oranienstraße, die bereit sind, in die dem Untergang geweihte Ruine zu investieren. Und alle jubelten: die Politiker, die Zeitungen, die Anwohner, und die Berlin Tourismus Marketing GmbH nahm die neue Attraktion vorsorglich schon einmal in ihrem Reiseführer auf. Am 5. Juli des vergangenen Jahres sollte das Kaufhaus Kreuzberg, eine Mischung aus Flohmarkt, Basar und Einkaufszentrum, eröffnet werden. Doch die Türen blieben geschlossen. Was war geschehen? Richard Stein weiß gar nicht, wo er anfangen soll: Bei den zähen Verhandlungen mit dem Vermieter, der Zentrum Kreuzberg GmbH, die sich seit über einem Jahr hinziehen? Diesen ewigen Zusagen und dann doch wieder Absagen? Den moderaten Vorverträgen und den haarsträubenden Klauseln in den nachfolgenden schriftlichen Varianten? Dem Vorbehalt einer fristlosen Kündigung? Der zuerst versprochenen und dann wieder entzogenen kostenlosen Nutzungsgenehmigung der Dachterrasse, die man auch den Vormietern der vergangenen drei Jahrzehnte immer zugestanden hatte? Oder am besten gleich bei dieser »grauen Eminenz«, die da im Hintergrund steht, und auf die Richard Stein immer wieder zu sprechen kommt. »Am Anfang war der für mich so was wie ein Heiliger! Der kam hier in die Kneipe, setzte sich an den Tisch, trank und erzählte und hatte richtige Ideen. Der schien einer von uns zu sein.« Das glaubte nicht nur Richard Stein. Kaum einer wäre vor zwei Jahren auf die Idee gekommen, daß Peter Ackermann, der »leere Läden vorrangig Selbsthilfegruppen und Bildungsprojekten« zur Verfügung stellte und sagte: »Wir schulden den Menschen mehr als nur eine Wohnung«, daß dieser untypische Geschäftsführer einer Hausverwaltung, der von der Ausländerbeauftragten Barbara John im Sommer 2002 für sein Engagement im bröckelnden Zementblock mit dem Integrationspreis »Miteinander leben – miteinander wohnen« geehrt wurde, weil er »Mitverantwortung für das friedliche Zusammenleben verschiedener Nationalitäten und Kulturen« gezeigt habe, daß dieser Peter Ackermann einmal zum Schwarzen Peter des Zentrums Kreuzberg werden könnte. »Es herrschte ja eine regelrechte Aufbruchsstimmung, als Ackermann auftrat«, erinnert sich auch Franz Schulz, Baustadtrat der Grünen, und auch Richard Stein, der noch immer ein bißchen wie ein Hinterhofpunk aussieht, dachte nicht daran, daß dieser Mann vielleicht doch kein idealistischer Altachtundsechziger, sondern Anwalt und Geschäftsführer einer großen Hausverwaltung war. Zwar bemerkte DIE ZEIT schon im Sommer 2001: »Wenn Peter Ackermann (…) spricht, dann redet kein Sozialarbeiter, kein Sozialpolitiker, sondern ein Geschäftsmann«. Aber einer, der die Ärmel aufkremple und aufräume. Genau so ein Typ, wie man ihn hier brauchte. »Ackermann hat so etwas Tatkräftiges, Entschiedenes. In seinen olivgrünen Arbeitshosen könnte er auf dem Weg zum Ernteeinsatz nach Nicaragua sein«, schreibt die Berliner Zeitung in einer preisgekrönten Reportage einige Monate später, und fügt hinzu: »Wenn sie nicht wüßten, daß Ackermann eine Maisonette-Wohnung in Charlottenburg bewohnt, würden sie ihn glatt für einen alten Kreuzberger halten.« Und Stefan Zackenfels äußert in einer Mieterzeitschrift sogar den Verdacht, Ackermann könne heimlich eine Insolvenz anstreben. Denn »warum lieber leerlassen, als etwa an das Kaufhaus Kreuzberg vermieten? Weil sichtbar unvermietete Gewerberäume im Falle der Insolvenz billiger zu verkaufen sind?« »Ich vermute, daß dieses Kaufhaus nur die Spitze des Eisberges ist!«, sagt Zackenfels, und das denken andere auch. Selbst Peter Strieder, der sich 2000 noch lächelnd mit Peter Ackermann vor der neuen und »wegweisenden« Stahltreppe fotografieren ließ und den Subventionsfluß bis heute unterstützte, ist skeptisch geworden. Er wird das Thema demnächst mit Kollegen behandeln müssen. Franz Schulz, der grüne Baustadtrat, einst von der »Aufbruchstimmung« begeistert, hat bereits den Landesrechnungshof eingeschaltet. Und auf einer Podiumsdiskussion im Dezember sickerte frühzeitig das Ergebnis einer noch unter Verschluß gehaltenen Studie durch, die Senat und Bezirk in Auftrag gegeben hatten. Aus ihr geht hervor, daß dem Schuldenberg von knapp 50 Mio. Euro ein Verkehrswert von höchstens 12 Mio. gegenübersteht, und »nur die Zuschüsse von zur Zeit 1,1 Mio. Euro aus dem Berliner Haushalt schützen die Betreiber vor sofortiger Insolvenz.« Eine Tilgung der vorhandenen Schulden, so die Studie, sei frühestens 2065 möglich. Auf einer Veranstaltung, die einige Tage später in einer Kreuzberger Schule stattfand, wollte man deshalb Peter Ackermann folgende Frage stellen: »Obwohl seit 30 Jahren (…) Steuermillionen in erheblicher Höhe an die Betreibergesellschaft des ZK überwiesen werden, sind die Schulden (…) heute höher als bei der Fertigstellung 1974. Haben Sie Erkenntnisse darüber, wo die Fördermillionen geblieben sind und wie die Verwendung geprüft worden ist?« Doch Peter Ackermann antwortete nicht. Er meldete sich plötzlich telefonisch aus der Schweiz, er könne den Termin nicht einhalten. Statt dessen saß der vor zwei Jahren von Ackermann zum Geschäftsführer der Verwaltung eingesetzte Daniel Kexel im Publikum. Doch der wollte nicht reden. Der war »nur als Besucher« anwesend. »Ach, wissen Sie, es macht natürlich keinen Spaß, wenn man mit Leuten am Tisch sitzt, die einen pausenlos beschimpfen. Aber wir haben eben die Aufgabe und Pflicht, das Zentrum Kreuzberg bestmöglich zu vermieten. Und das tun wir ja. Achtzig Prozent der gewerblichen Einheiten sind sind vermietet«, sagt Ackermann. Warum aber, fragen die Kritiker, vermietet er dann nicht diese 1200 Quadratmeter an das Kaufhaus Kreuzberg. Zumal das ein Projekt ist, das den Standort aufwerten würde wie kein anderes in der Wüste Kotti. Weshalb das ja auch eine Sache sei, die ihm »unheimlich am Herzen liegt!« Sagt Peter Ackermann. Doch Richard Stein glaubt nicht mehr daran, daß Ackermann an einer Vermietung interessiert ist. Er glaubt, daß Ackermann ganz anderes mit der Immobilie vorhat, und sieht sich nach alternativen Standorten für das Kaufhaus um. Und er wird sich das nächste Mal nicht wieder auf diese diffusen Grautöne einlassen, sondern auf die alte Schwarz-Weiß Technik zurückgreifen. »Sehen Sie: das Problem sind doch die notwendigen baulichen Maßnahmen! Und das sind auch bei einem alternativen Kaufhaus nicht wenige. Wenn da nämlich 140 Leute herumspazieren, dann noch fünfzig im Café sitzen, dann brauchen sie Fluchtwege, behindertengerechte Toiletten und Aufgänge … Das kostet alles Geld! Und Stein & Co möchten, daß wir das zahlen. Das würden wir ja sogar machen. Wenn wir Geld hätten. Aber wir haben eben keines.« Sagt Peter Ackermann. Richard Stein wird schon etwas anderes finden. Er ist noch jung, ein Mann mit Ideen. Geschäftsideen, fast selbst schon ein Geschäftsmann. Schwieriger wird es für die fünfzig kleinen Gewerbetreibenden werden, die vielen frisch gebackenen Ich-AGler, die vergeblich auf die Eröffnung ihres Kaufhauses am 5. Juli warteten. Und noch immer warten. Doch es ist nicht Ackermanns Schuld, wenn Stein und Co. schon zur Eröffnung blasen, obwohl es noch keinen Mietvertrag gibt, und »den dritten Schritt vor dem zweiten tun!« »Und wissen Sie«, ergänzt Herr Ackermann und hört sich ein bißchen so an wie der Bundeskanzler, »ich habe immer gesagt, daß Stein u. Co. die Räume für 7,5 Euro den Meter haben können. Vorausgesetzt, sie finanzieren die notwendigen Umbauten. Und dazu stehe ich heute noch!« Und dann setzt er hinzu: »Überlegen Sie doch mal: Ich würde doch wegen Untreue ins Gefängnis kommen, wenn ich die größte freistehende Gewerbefläche nicht vermieten würde.« Der schmale Rentner (vgl. ) mit seiner Latschenkiefer 33 Meter über dem Platz und der Hollywoodschaukel ganz oben auf dem Zementblock, der das Papier im Hof auflas und die Mülleimer leerte, dieser unbezahlte Hausmeister, der in der Berliner Zeitung bekannte, »Ackermanns größter Fan« zu sein, hatte einmal gesagt: »Ich sehe es als Verpflichtung, aus dem Haus was zu machen. Mit Herrn Ackermann kann ich etwas erreichen«. Insgeheim war das große Haus immer Wiessners Haus. Es ist noch nicht lange her, da zeigte er seinen Besuchern noch stolz die Urkunde, auf der sich der damals neue Verwalter Peter Ackermann für Wiessners »langjährige Unterstützung und Hilfsbereitschaft« bedankte. Und Silvester 2000 stand Ackerman noch bei ihm auf der Terrasse und genoß die phantastische Aussicht von Wiessners exorbitantem Dachgarten. Eineinhalb Jahre später sagte Ackermann: »Vielleicht werden wir alles in Eigentumswohnungen umwandeln. Und deine Wohnung wird die erste sein, die ich verkaufe!«. Horst Wiessner konterte optimistisch: »Dann kauf ich sie eben!« Doch inzwischen hat auch die gute Fee den Engel verlassen. Wiessner sagt: »Ich bin noch nie von einem Menschen so enttäuscht worden!« Dabei waren sie so ein gutes Gespann gewesen, hatten ein gemeinsames Ziel vor Augen: die Rettung des Blocks. Jetzt gehen jetzt getrennte Wege. Und Horst Wiessner, dreiundachtzig Jahre alt, seit dreißig Jahren hier zu Hause und der dienstälteste Mieter im Block, einer, der »nie von hier weg« wollte und sein Haus nicht länger als für zwei Wochen allein ließ, fuhr zu seiner Tochter nach Brasilien. Drei Monate. »Um herauszufinden, ob es dort nicht eventuell doch etwas ruhiger ist als hier.« Die Geschichte mit Ackermann war ihm zu Herzen gegangen. Aber vor einigen Tagen ist er zurückgekommen. »Ich möchte doch zu gern wissen, was hinter dieser ganzen Geschichte steckt!« Das möchten alle anderen auch. »Aber vielleicht«, sagt eine Frau aus dem Haus, die den 62jährigen Ackermann »so charmant« findet und das alles nicht glauben möchte, »steckt ja auch gar nichts dahinter. Da wird so viel geredet.« Vielleicht ist Peter Ackermann gar nicht der Schwarze Peter, sondern nur ein grauer, alternder Mann. Ein bißchen müde von den ewigen Streitereien. »Ach wissen Sie«, sagt Peter Ackermann, und hört sich ein bißchen an wie der Kanzler, der ein freundliches Schlußwort spricht, »dieser Zementblock ist ja auch ein Klotz am Bein. Verstehen Sie: Ich möchte ja auch bald in Rente gehen! Aber eine Aufgabe, die man anfängt, muß man eben auch zu Ende bringen. Vor allem«, fügt Ackermann dann noch hinzu, und wenn die Rentnerin ihn hören würde, bekäme sie vielleicht ein wenig feuchte Augen, »wenn sich in diesem Haus ein so hoher Prozentsatz an jugendlichen Arbeitslosen befindet, die ja ein Zuhause brauchen.« <br> |