Februar 2004 - Ausgabe 54
Herr D.
Herr D. und die Kaufkraft von Hans W. Korfmann |
Herr D. war im Grunde nicht anders als andere Menschen auch. Er hatte gute und schlechte Tage. Allerdings schienen sich die schlechten Tage manchmal zu verschwören und in geschlossener Formation gegen ihn anzutreten: Kaum war er aufs Rad gestiegen, begann es zu regnen. Anschließend fuhr ihm der Bus davon, so sehr er auch winkte. Glücklich im Büro angekommen, kam die Liebich angehumpelt. »Die lieb ich ja«, dachte Herr D., und schon zwitscherte sie: »D., könnten Sie mir einen Gefallen tun? Ich bräuchte ganz dringend einen Bogen Geschenkpapier. Am besten bei Karstadt. Sie wissen doch, der Chef hat Geburtstag …« Herr D. wußte, aber er hatte sich trotzdem nicht an dem Gemeinschaftsgeschenk beteiligt. Aus Rache. Und wegen der mangelnden Kaufkraft. »Mit Blümchen drauf oder eher etwas Schlichtes?« fragte er. – »Mit Blümchen! Ein anderes brauchen Sie gar nicht erst anzubringen!« Die Menschentraube vor dem Eingang ließ nichts Gutes erwarten. Herr D. studierte den handgeschriebenen Zettel in der Scheibe: »Wegen Vollversammlung öffnen wir erst gegen 11 Uhr.« Es hätte schlimmer kommen können! Allerdings schien ihm die Formulierung »gegen elf Uhr« doch ein ziemlich dehnbarer Begriff zu sein. »Wieso stehn hier denn so viel Leute rum?«, fragte eine dicke Frau, die gerade einmarschierte und ein dickes Kind hinter sich herzog. Das Kind starrte auf den Boden, wo ein rosafarbenes Bonbonpapier lag. Die Mutter starrte auf das Schild. »Ach so, ich dachte schon, da gibt’s was umsonst!« Herr D. fühlte sich nicht unwohl in der protestierenden Menschentraube: Junge Mütter fuhren kreischende Babys in Kinderwagen vor dem Eingang hin und her, Männer mit Aktentaschen telefonierten ihre Handys heiß, Rentner bekamen blaue Lippen und die letzten Raucher der Nation qualmten aus den Ohren. »Das ist doch eine Unverschämtheit. Warum machen die das nicht nach Feierabend?« – »Dann müßten sie die Überstunden bezahlen!« Die diskutierende Traube wuchs immer weiter auf die Straße hinaus und begann allmählich, den Verkehr zu behindern. Da öffnete sich plötzlich ein Nadelöhr ins Innere des Konsumpalastes. Innerhalb weniger Sekunden bildete sich ein zweiter Menschenkloß vor der Rolltreppe. Der dicke Ordnungshüter, der gerade noch am Eingang gestanden und die Kunden der Post durchgewunken hatte, die sich raffinierterweise bei Karstadt einquartiert hatte und Briefmarken verkaufen wollte, mußte für einen Moment nicht aufgepasst haben. Jetzt stand er direkt vor der Rolltreppe. Herr D. betrachtete stirnrunzelnd das schmale Absperrband, das die Menschenmassen vom Sturm auf die Regale abhalten sollte, und das ernste Gesicht des Ordnungshüters. Gleich würden Sprechchöre Einlaß fordern, es sah schlecht aus um die Sicherheit des Sicherheitsbeamten, der das Sprechfunkgerät aus der Tasche fummelte und ganz offensichtlich Verstärkung anforderte. Währenddessen drückten die Menschen Herrn D. immer weiter nach vorne, nur noch zwei Meter trennten ihn von der Rolltreppe. Da endlich traf die Verstärkung ein. »Hey, Sie da … – immer schön langsam!« – Der Ordner sah Herrn D. strafend an. »Sie tun ja, als hätten Sie seit Monaten nichts mehr zu essen gehabt!« – Der glatzköpfige Kumpel an seiner Seite lachte: »Die können’s gar nicht mehr erwarten, ihr Geld loszuwerden! Von wegen mangelnde Kaufkraft!« Eine halbe Stunde später stand Herr D. in der Papierwarenabteilung. Als zweiter Kunde des Tages. Die Verkäuferin lächelte, als sie ihm mitteilte, daß das Geschenkpapier mit Blümchen ausgegangen sei. »Gerade eben, die Dame vor Ihnen!« Auch Herr D. lächelte freundlich: Er hatte nichts anderes erwartet! <br> |