Kreuzberger Chronik
Februar 2004 - Ausgabe 54

Die Geschäfte

Das Märchen vom Senfkönig


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von Ina Winkler

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Der König war kein schlechter König. Er meinte es im Grunde gut und wollte, daß es allen gutging in seinem Land. Aber er war ein schwacher König. Er verstand es nicht, sich gegen die Reichen im Land durchzusetzen, die bei ihm kratzfußten und buckelten und alle fünf Minuten mit ihren Wünschen bei ihm vor der Tür standen. Sie forderten Subventionen und Steuervergünstigungen, nur, damit sie das Volk ein bißchen besser behandelten.
Doch so viele Eingeständnisse der König den Bittstellern gegenüber auch machte: Dem Volk ging es immer schlechter.

Da rief der König, der den Anblick dieser langen Schlangen der Bettler vor den Armenämtern nicht mehr ertragen konnte, seinem Volk zu, es möge sich doch eine eigene Arbeit schaffen. So wie die Menschen in Amerika auch! Und dann verkündete er die Mähr von der Ich-AG und erklärte sich bereit, diesen sogenannten Existenzgründern eine kleine Starthilfe zu gewähren, damit sie sich endgültig und für immer vom Tropf der Staatskasse losnabelten. Und tatsächlich: Es kam etwas in Bewegung. Das kleine Startkapital zog die Massen an wie das Licht die Motten. Gründerwettbewerbe wurden ausgerufen und die besten Ideen prämiert – als lebte man noch im Zeitalter des industriellen Aufbruchs. »Schaut nur nach Amerika!«, rief der König, und: »Haben wir denn wirklich keine Ideen mehr?«

Doch nicht jede Idee war Gold wert. Die meisten Ideen waren gar nichts wert, und die meisten der kleinen Leute, die sich nach vorn gewagt hatten, standen nun endgültig auf der Straße. Wenn es aber einmal einer schaffte, dann verbreitete sich die Nachricht in Windeseile in alle Himmelsrichtungen. Dafür sorgte eine großangelegte Werbekampagne des Königs. Schließlich mußte man dem Volk doch suggerieren, daß es irgendwie weiterging.

Also schaltete man eine ganzseitige Anzeige im Stern. Ganz oben stand: »Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit«. Und ganz unten stand: »Wir glauben an ICH«. Und dazwischen stand eine Frau aus dem Volk, Frau Merit Schambach, neben ein paar Gläsern mit Senf und sah furchtbar optimistisch in die Kamera, die die Welt darstellen sollte.

Diese Frau Schambach erregte vom ersten Augenblick an die Aufmerksamkeit der Medien. Die gesamte deutsche Presse interessierte sich für die Wunder-Ich-AG, Arte, Spiegel und Focus standen in der Tür und wollten filmen und interviewen. Denn jemand, der es verstand, aus diesem schmierigen Klecks auf dem billigen Pappkarton, aus diesem graugrünen Häufchen neben der schnöden Bockwurst, aus dem deutschen Äquivalent des verhöhnten amerikanischen Ketchups noch Kapital zu schlagen, der mußte einfach genial sein.

So wurde aus dem Herrn Schambach, dem Mann der Frau Schambach, allmählich der »Senfdesigner« Schambach, der auf Berlins teuerstem Feinschmeckermarkt am Winterfeldtplatz seine neuesten Kreationen vorstellt. Der Senfkoch, der vor nicht allzulanger Zeit noch an den Wochenenden in fremden Küchen seine paar Gläser Senf für den Markt kochte, weil die eigene Küche zu klein dafür war. Und der jetzt in einem Kreuzberger Souterrain, der steigenden Nachfrage wegen, ein Lager hat einrichten müssen, und endlich auch seine eigene, kleine Senfküche. Dort kann ihm jetzt niemand mehr über die Schulter gucken, wenn er – nach geheimer Rezeptur – seine erfolgreichen Mixturen zusammenköchelt. Das sind Geschichten, die die Leute hören möchten. Das ist der Stoff, aus dem Legenden sind. Legenden wie die vom amerikanischen Tellerwäscher, die der König dem Volk so gern erzählt. Und deshalb steht das Fernsehen jetzt ständig vor der Tür des Senfkochs. Und trägt das wahre Märchen in die Welt.

Senfsalon
Foto: Michael Hughes
Ohne die medienwirksame Anzeige des Bundesministeriums wäre die Senfköchin Schambach bis heute dem deutschen Volke weitgehend unbekannt. Wie so viele andere Geschäfte auch. Und den »Senfsalon« in der Hagelberger Straße gäbe es wahrscheinlich gar nicht. Doch jetzt ist er da. Stilgerecht hat der Senfkoch die ehrwürdige Fassade des jahrhundertealten Gebäudes vor seinem Laden in zartes Senfgelb getaucht. Auch die Wände des Souterrains hat er senfgelb gestrichen, und das Laminat im Kellergeschoß ist ohnehin senfgelb. Gelb ist auch der Senf in den kleinen, sechskantigen Gläsern, der überall in den Regalen steht, wie ein Kunstwerk angestrahlt von kleinen Scheinwerfern, sodaß der dumpfgelbgrüne Brei tatsächlich ein wenig leuchtet – so, als ginge dahinter gerade die Sonne auf.

»Ich sag mal«, sagt der junge Mann hinter der Theke, »es geht ja nie von jetzt auf gleich.« Aber im Grunde sei das kleine Unternehmen schon ein regelrechter »Senkrechtstarter«. Schon zählen Feinkostläden in Hamburg und München zu den Abnehmern, und in Berlin beliefert der neue Senfverkäufer nicht die Würstchenbuden, sondern angesehene Restaurantbetriebe.

»Der Renner im Moment ist der toskanische Senf« – Eine Mischung aus Senfkörnern, Oliven, Weißwein und Tomaten. Aber auch der rote Knoblauchsenf oder der Himbeersenf sind regelrechte »Verkaufsschlager«. Für Stirnrunzeln bei den Käufern dagegen sorgt in der Regel der sogenannte Colonial Senf mit Kaffee und Kakao, oder auch der orientalische Senf mit Zimt. Beim schottischen Senf mit echtem Whisky dagegen hat noch niemand gefragt, wie das denn alles zusammengehe. »Jedenfalls – von fruchtig und süß bis superscharf ist hier alles dabei!«, schwelgt der beschwingte Senfverkäufer und reicht eine Liste mit zwanzig Sorten herüber, die die frischgebackenen Ich-AGler inzwischen noch um raffinierte Chutneys und einige Marmeladen erweitert haben, die alle einen ordentlichen Schuß Alkohol vertragen haben. So ganz scheinen sie dem Senf noch immer nicht zu trauen, und so ganz auf Senf wollen auch die Schambachs nicht bauen. Obwohl sie alles diesem Senf verdanken. Genaugenommen diesem Bananensenf, das 105-Milliliter-Glas für 2,50.

Denn im Grunde ist das alles ja nur ein Zufall gewesen, und im Grunde war es auch gar keine eigene Idee. Es war »Die Sendung mit der Maus«, die sich das Ehepaar Schambach aus einem gewissen Zeitüberschuß eines Nachmittags mit seinen Kindern ansah. Thema der Sendung war das menschliche Geschmacksempfinden, zur Sprache kamen auch etwas merkwürdige Vorlieben einiger Individualisten für Schokolade mit Spinat oder Erdbeereis mit Bohnen. Oder Senf mit Banane. Und da das Telefon immer noch nicht geläutet hatte und der Komponist Christoph Schambach auch nach der Sendung noch immer keinen Auftrag hatte, ebensowenig wie die Fotografin Merit Schambach, gingen sie zusammen in die Küche. An diesem Tag trat der »Bananensenf« in das Leben der Familie Schambach. Niemand ahnte, welche Folgen das für sie haben würde. Für sie und den König und Deutschland. Aber nun ist es geschehen. Das Märchen ist wahr geworden. <br>

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