Kreuzberger Chronik
Dez. 2004/Jan. 2005 - Ausgabe 63

Juliane Buschbeck Kreuzberger
Juliane Buschbeck

»Wie gnadenlos man in Berlin hängenbleiben kann!«


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von Henning Altevogt

Titelfoto: Michael Hughes

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Säße sie, wie manche ihrer Kolleginnen, bei Reinhold Beckmann vor der Kamera, dann würde der smarte Moderator sie nach freundlicher Begrüßung mit seinem durch die Brille dringenden Blick fixieren und sagen: »Sie haben ein kleines Kind, Sie erwarten ein zweites, sind mit einem Künstler verheiratet, leben in Kreuzberg und stehen beim Theater in Dessau als Schauspielerin unter Vertrag. Wie schaffen Sie das?«
Dann würde Juliane Buschbeck sagen: »Gar nicht!« – und Beckmann müßte sich ziemlich schnell eine neue Frage einfallen lassen. Aber Juliane Buschbeck ist ein freundlicher Mensch, sie käme dem Moderator zu Hilfe und würde fortfahren: »Ich habe meinen Vertrag zum Ende des Jahres auslaufen lassen. Es gibt andere, die können ihr Kind bei der Oma lassen, und denen macht es nichts aus, dreimal in der Woche hundertfünfzig Kilometer nach Dessau hin-, und 150 Kilometer nach Berlin zurückzufahren. Aber ich sitze dann in meinem Auto und denk mir: Was machst Du da eigentlich? Kind hier, Mutter da … das fühlt sich irgendwie Scheiße an.«

Juliane Buschbeck paßt nicht zu Beckmann. Sie entspricht nicht dem von Hollywood überlieferten Klischee der Filmstars und Bühnendiven. Sie sitzt in einer altmodischen Trainingshose mit drei Adidas-Streifen an der Seite und einem Jeansflicken auf dem Knie vor einer Apfelschorle. »Wenn ich morgens mit meiner Tochter Frühstück mache und zusehe, daß ich sie in den Kindergarten bekomme, dann vergißt man den Lippenstift.« Allerdings braucht sie den auch nicht. Sie ist, wie sie ist. Sie kommt, im Gegensatz zu einigen ihrer Kollegen vielleicht, auch ganz gut ohne Rolle aus. »Ich neige dazu, die Wahrheit zu sagen. Und bin damit eigentlich immer gut gefahren. Verstellen liegt mir nicht. Vielleicht bin ich eben keine richtige Vollblutschauspielerin. Da fehlt mir der Ehrgeiz.«
Obwohl das nicht ganz stimmt. Denn da war zum Beispiel der Ehrgeiz, auf die HDK zu kommen.
»Hey, jetzt
will ich’s
aber wissen!«

Irgendwie war es eine unausgesprochene Wette, wer von ihnen es als erster schafft: ihr Freund, Florian Pelka, der Maler, oder sie, die Schauspielerin. Am Ende schafften sie es beide, im gleichen Jahr. Sie hatte gehofft, wenigstens nicht gleich in der ersten Runde auszuscheiden, wo etwa 1000 Bewerber auf ihren Auftritt warteten. In der zweiten Runde waren es dann nur noch ein paar Hundert. »Aber plötzlich war ich unter den letzten 20.« Und obwohl sie »mit 24 Jahren auch nicht mehr die Jüngste« war unter den angehenden Schauspielern, hörte sie da so eine Stimme, die sagte: »Hey, jetzt will ich’s aber wissen!« Vier Tage lang wurden die verbliebenen Kandidaten auf »Herz und Lunge geprüft«, Juliane spielte das Gretchen aus dem Faust und sprach Kaspar Hausers traurigen Satz von Peter Handke: »Ich will so einer werden, wie einst ein anderer einmal war …« Und dann stand fest: Juliane Buschbeck würde ihr Studium an der FU abbrechen.
Germanistik und Theaterwissenschaften hatte sie ohnehin nur studiert, weil ihr Freund und ihr Bruder auch gerade nach Berlin gingen, weil Germanistik noch zulassungsfrei und in Berlin gerade die Mauer gefallen war. »Vielleicht hab ich ein bißchen viel Freiheit gehabt«, sagt sie und fügt hinzu, daß sie von einer gesunden Portion Faulheit profitiere. Später, nach dieser Amerikareise, wo sie in einem kalifornischen Nationalpark Hamburger verkaufte und Berge von Müll produzierte, anstatt Umweltschutz zu betreiben, wie sich das die unschuldige Europäerin noch vorgestellt hatte, nach New York und Chicago hatte sie ein Amerikanistikstudium begonnen und sah sich eine Weile lang als zukünftige Lehrkraft. Nun aber kam sie ans Hans Otto-Theater in Potsdam. Und dann nach Dessau. Sie spielte Hamlets Ophelia, war eine von Schwaabs Drei Präsidentinnen, war 70 mal die Anne Frank. Sie zitterte nicht mehr wie bei den ersten Auftritten der Schultheatergruppe vor fünfzig Stühlen mit lauter bekannten Gesichtern, wie vor den skeptischen Jurymitgliedern der HDK, sondern spielte an einem Staatstheater mit 1100 Plätzen vor einem anonymen Publikum und wollte vor allem sich selbst gefallen, weniger den Beobachtern. »Obwohl es schmerzhaft ist, wenn man eine schlechte Kritik bekommt«, aber ein Grund zum Verzweifeln ist es nicht.
Juliane Buschbeck
Foto: Privat
Verzweifeln fällt ihr ohnehin schwer. Obwohl es Fotografien gibt, auf denen sie dramatisch ernst in die Kamera blickt, auf denen man ihr diesen Ernst auch abnimmt. Ebenso wie das Lachen auf anderen Fotografien, ebenso wie den melancholischen Blick in die Ferne oder das sanfte Lächeln zärtlicher Regungen. Jedes dieser Bilder, die, in der Hoffnung auf kleine, aber gutbezahlte Filmrollen, für Castingfirmen gemacht werden müssen, um am Ende in meterhohen Regalen zu verstauben – »da willst du am liebsten gleich wieder rausrennen!« –, vermittelt den Eindruck, authentisch und nicht gekünstelt oder gespielt zu sein. Juliane Buschbeck meint es ernst, auch das Lachen. Vielleicht war es das, was den kritischen Beobachtern der HDK auffiel. Auf jeden Fall ist es das, was gute von schlechten Schauspielern unterscheidet.

Doch der Stachel des Ehrgeizes hat sie verschont. Wenn sie über das Theater spricht, dann meint sie damit nicht mehr als ein Kapitel ihres Lebens. Ein Kapitel wie das Sozialjahr in Freiburg, wo sie sechs Monate lang in der Altenpflege arbeitete. Sie denkt gern zurück an die alte Frau, mit der sie Schuhe kaufen wollte, und die ständig ausbüchste, bis Fräulein Buschbeck ihr schweißgebadet endlich ein Paar Schuhe an die Füße stecken konnte. Oder an den alten Mann, der am 10. November 1989 morgens früh, als Fräulein Buschbeck in sein Zimmer kam und ihm das Frühstück bringen wollte, plötzlich in Mantel und Schuhen dastand und sagte, er müsse sofort zurück nach Leipzig.
Wenn sie jetzt das Theater in Dessau verläßt und ersteinmal arbeitslos ist, geht sie, ohne dem nachzutrauern. Ohne sich wirklich zu beunruhigen. Ihre »Rolle« als Mutter ist eine wichtige Rolle, eine fürs Leben, und nicht eine für die Bühne. »Und ich sehe als Mutti jetzt alles ganz anders: die Spielplätze, die andern Muttis, die andern Kinder. Ich hocke nicht mehr so viel in Cafés, und ich treib mich nachts nicht mehr so durch die verrauchten Lokale. Manchmal denk ich sogar an eine Kindheit im Grünen.« Eine Kindheit, wie sie eine hatte. »Aber Kinder können auch in der Großstadt großwerden. Besser sogar als in so einer Kleinstadt mit Feld und Wald drumherum, wo keiner mehr hingeht, weil jeder seinen eigenen Garten vorm Haus und seine eigene Rutschbahn fürs Kind hat.«

Juliane Buschbeck
Foto: Privat
Auch Dessau stand als Wohnsitz einige Überlegungen lang zur Debatte. Aber die Schauspielerin ist kein Mensch, für den zuerst der Beruf und dann alles andere kommt. Wenn es New York wäre, Paris … – dann könnte man darüber nachdenken. Aber nicht Dessau. Außerdem ist da ihr Freund, der gerade seine erste Einzelausstellung bei Tammen und Busch am Chamissoplatz hat. Und der möchte hierbleiben. Der ist auch so ein Beispiel dafür, »wie gnadenlos man hier in Berlin hängenbleiben kann.«

Manchmal merken die Hängengebliebenen, daß sie hängengeblieben sind. Dann müssen sie raus. Nach Indien, um dem Dalai Lama die Hand zu schütteln, der zufällig des Weges kam. Oder in den Himalaja, um mit »so ner komischen indischen Enduro« bis auf 5200 Meter hinaufzuknattern. Oder nach Moskau, Damaskus, Madrid, um mit ihrem Cello zu spielen oder mit den Chören zu singen. Aber auch von Berlin hat Juliane Buschbeck mehr gesehen als nur die FU und die HDK. Sie hat Brötchen in der Bäckerei verkauft, sie hat Modell gestanden, und sie hat Lichtschnüre im Waldstadion verkauft. Weil sie das Konzert von Prince nicht bezahlen konnte. 100 Mark kosteten die Karten, und die Neu-Berlinerin stand frustriert neben einer Gruppe von Studenten am Eingang, als ein Typ kam und fragte: »Seid ihr die von Tusma, die für mich verkaufen sollen?« – »Jaja«, sagte die Studentin mit dem Schauspieltalent und enthüllte das Geheimnis der falschen Identität erst, als sie bereits drin war im Stadion. »Egal«, sagte der Typ, »hier, nimm und verkauf.« Da entwickelte Juliane Buschbeck einen seltenen Ehrgeiz und verkaufte mehr als alle anderen. Jahrelang rief der Lichtkettenverkäufer vor jedem Konzert bei ihr an. Es war kein schlechter Job. Und auch ans Theater möchte sie dann schon gern mal zurück. Sie spielt gerne. Sie spielt gut. Und außerdem: »Das ist die einzige abgeschlossene Berufsausbildung, die ich habe!«

Aber wenn es nicht mehr klappen sollte mit den Engagements nach dem »Muttidasein«, dann wird sie eben etwas anderes machen. Sie weiß, daß sie nicht lebt, um zu arbeiten, sondern arbeitet, um zu leben. Und sie hält, im Gegensatz vielleicht zu diesen »Vollblutschauspielerinnen«, die Bühne nicht für die Welt und die Kunst nicht fürs Leben. Sie hält das fein auseinander. Sie hat, neben den verschiedenen Charakteren, die sie spielt, noch ihren eigenen. Nur manchmal überschneiden sich Kunst und Leben dann doch. Kürzlich hat sie ihren letzten Auftritt gehabt. In Brechts »Guter Mensch von Sezuan« spielte sie die schwangere Schwägerin. Begonnen hatte sie noch mit einem Kissen unter dem Kleid. Jetzt, bei ihrer letzten Vorstellung, war der Bauch echt.

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