Dez. 2004/Jan. 2005 - Ausgabe 63
Der Kommentar
Jolos Kinderwelt von Michael Unfried |
Die Kinder haben ihren Spaß. Das hört man. Der stets von anrollenden Kinderbesitzern gut besetzte Parkplatz, den der Unternehmer zum Leidwesen der Anrainer gleich mitgemietet hat, und die sonst nur in Hallenbädern erreichbare Phonzahl in der 1500 Quadratmeter großen Halle am Tempelhofer Berg läßt keinen Zweifel daran: Das »einzigartige Spiel- und Tobeparadies« ist ein Renner. An den nicht seltenen Berliner Regentagen scheint Jolos Kinderwelt der einzige Ausweg aus der Enge der eigenen vier Wände. Denn schließlich will nicht jeder den Bewegungsdrang seiner Kinder mit Turnvater Jahns Leibesübungen oder mit religiös-alternativ-philosophischen Verrenkungen der Gliedmaße befriedigen. Also verschwinden die Kinder im gähnenden Maul des Riesenkrokodils Jolo, rutschen hinten wieder raus und landen zwischen überdimensionalen Legoklötzen auf der »Kinderbaustelle«, dem einzigen Kreativbereich des überdachten Spielplatzes. Sie rutschen über die Wellenrutsche oder flitzen durch die Röhrenrutsche, schwimmen im »Ballpool«, hängen in den Kletternetzen und balancieren über Netzbrücken. Sie erklettern den aufgeblähten »Softmountain« und sie lenken die kleinen Elektroautos der Autoscooter. Sie sitzen stundenlang auf dem Kinder-Kettenkarussel, rutschen und wippen, heulen und lachen, schreien und stehen mit dem Finger im Mund daneben. Vor allem aber drängeln sie sich um die freien Plätze in der Eisenbahn, die etwa alle 15 Minuten ihre Runden dreht, gesteuert von einem korpulenten Lokomotivführer, der mit apathisch in die Ferne schweifendem Blick auf einem viel zu kleinen Stuhl vor dem grünen und dem roten Knopf sitzt und nie ein Wort spricht mit den kleinen Fahrgästen. Währenddessen sitzen Eltern oder Elternteile im Restaurant und essen Würstchen, Pommes und Popcorn und freuen sich über den Anblick ihrer glücklichen Kinder. Eben so wie in allen anderen Vergnügungsparks dieser Welt. Der einzige Unterschied zu den fahrenden Jahrmärkten ist, daß die Eltern nicht für jedes Karussel und jede aufgeblasene Plastikfolie gleich zwei Euro hinlegen müssen. In Jolos-Kinderwelt zahlt man nur einmal. Aber die 1500 Quadratmeter überdachter Fläche in der alten Schultheissbrauerei haben ihren Preis. Und der spiegelt sich im Eintritt wieder. 6 Euro beträgt er für die größeren Kinder, 3 Euro für die kleineren. Das trübt das Vergnügen der Spielenden nicht, wohl aber das der dazugehörigen Erwachsenen, die immerhin noch 3,50 für das Zuschauen bzw. das Aufpassen zahlen. Aus der Sicht des Unternehmers sind diese Preise verständlich: Er hat in die Halle investieren müssen, Beistand vom offiziell so um die Zukunft des Berliner Nachwuchses besorgten Senat oder dem Bezirk hat der Mann mit der Idee vom überdachten Spielplatz nicht erhalten. Dann hätten die Eintrittsgelder humaner ausfallen können. So aber wird der Indoorspielplatz zum Luxus für Wenige, und der Besuch im »einzigartigen Spiel- und Tobeparadies« eher zum einmaligen Weihnachtsgeschenk als zum Ausweg aus verregneten Alltagen. Hinter dem lächelnden Gesicht der Kinderwelt am Tempelhofer Berg verbirgt sich die nackte Realität: Es ist vorbei mit den Schwimmbadbesuchen, der Kinderbetreuung, dem kostenlosen Studium, den gesicherten Mieten oder der gesicherten Wasserversorgung. Von der sozialen Marktwirtschaft, auf die Deutschland einst so stolz gewesen ist, spricht heute keiner mehr. Er würde sich lächerlich machen. Denn dort, wo der Staat einst noch schützend seine Hand über die Bürger und einige ihrer Grundrechte hielt, regiert heute nur noch einer: das Kapital. Und über dem Eingang könnte stehen: Ungeeignet für Harz-IV-Opfer. <br> |