Kreuzberger Chronik
April 2004 - Ausgabe 56

Der Kommentar

Angebotsoptimierung, Berater und der 140er


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von Thomas Heubner

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»Klauen ist verboten, zumindest was uns betrifft. Der Staat dagegen darf alles. Jetzt will man uns den Bus klauen, d.h. der 140er soll eingestellt bzw. mit verkürzter Streckenführung weiterbetrieben werden … Anscheinend wird der Service mit jeder Fahrpreiserhöhung immer mieser. Wir zahlen und leiden dann unter Ihrem Sparzwang – pfui und nochmals pfui!«

Starker Tobak. Nachzulesen in einem offenen Protestschreiben an den Verkehrssenator. Unterzeichnet von ein paar hundert Anwohnern in der Nähe der Katzbachstraße.

Man kann die Leute verstehen. Es ist grotesk, wenn bei der BVG die Fahrpreise stetig klettern, die Nachfrage nach Bus, U- oder S-Bahn dadurch wundersamerweise sinkt, und dann das Streckennetz ausgedünnt wird. Das nennt man gemeinhin Circulus vitiosus, es sei denn, man ist Verkehrsplaner. Dann übt man sich im Schönreden und spricht von moderater Tarifanpassung, Verkehrsbündelung oder Netzjustierung.

Diesmal trifft es also den 140er. Er soll nun nicht mehr über die Boelckestraße zum S-Bahnhof Tempelhof fahren, sondern am Platz der Luftbrücke enden. Wer also zum St. Joseph-Krankenhaus oder weiter zum schwedischen Möbelhaus möchte, muß in den 184er umsteigen. Diese Änderung beim sogenannten »Kleinen Fahrplanwechsel« führen die hauptstädtischen Verkehrsbetriebe jedoch nicht »aus betriebswirtschaftlichen Gründen« durch, wie ein BVG-Sprecher auf Nachfrage der Kreuzberger Chronik betonte. Vielmehr handele es sich bei der Linienänderung um eine »Angebotsoptimierung entsprechend der Kundennachfrage«. Alle Änderungen seien bei den zuständigen Senatsstellen beantragt worden, welche die »Vorhaben innerhalb der üblichen Fristen prüfen«. Nicht zuletzt gäbe es Abstimmungsverfahren mit Bezirken, Fahrgastverbänden und Vertretern der Behinderten.

Wie ein solches »Abstimmungsverfahren« mit gewählten Volksvertretern aussieht, erklärt Jutta Matuschek, verkehrspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus: »Von den Änderungen wurden wir von der BVG wie üblich informiert, per Pressemitteilung im nachhinein am 10. Februar, ohne jegliche Nachweise oder Begründungen. Aber vielleicht meint man sich das sparen zu können, weil Finanzsenator Thilo Sarrazin schließlich auch Vorsitzender des BVG-Aufsichtsrates ist.«

Wieviel die Wünsche ihrer Kunden den BVGlern tatsächlich wert sind, zeigt sich auch darin, daß die Meinungsforscher der BVG erst Ende Februar die Fahrgäste im Bus oder per Telefon nach ihren Wünschen befragten. Ein demokratisches Feigenblatt, nachträglich vor der Scham baumelnd?

Wegen des 140ers wird die Welt nicht zusammenbrechen. Doch Wachsamkeit ist 1. Bürgerpflicht. Bereits für Dezember 2004 haben die Verkehrsbetriebe größere Veränderungen des Fahrplanes angedroht. Und wer weiß, was man sich in der BVG-Hauptverwaltung in der Potsdamer Straße bis Jahresende einfallen läßt, zumal dort gerade die berühmten Experten von Roland Bergers Beraterfirma an den »Grundzügen eines Verkehrsnetzkonzeptes« feilen. Die Herren mit dem »externen Sachverstand ohne innerbetrieblichen Tunnelblick« sekundieren acht BVG-Direktoren, deren herausragende Kompetenz mit 143.000 bis 191.000 Euro im Jahr vergütet wird. Ob indes Roland Bergers Koryphäen so erfolgreich sein werden wie vordem bei der Bundeswehr, der Bundesagentur für Arbeit oder der Bankgesellschaft Berlin, ist noch fraglich. Sicher ist nur ihre Bezahlung – aus Steuer-Euros und BVG-Fahrgeldern der Berliner. <br>

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