Kreuzberger Chronik
April 2004 - Ausgabe 56

Herr D.

Herr D. und der Zigarettenautomat


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von Hans W. Korfmann

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Herr D. war auf dem Weg zur Arbeit – zu Fuß, denn das Rad hatte schon wieder einen Platten. Übel gelaunt gedachte er seiner Kollegin, der Liebich, als er plötzlich einen Zigarettenautomaten durch die Tür der Aubergine fliegen und, begleitet vom Geräusch zerberstenden Glases, aufs Pflaster aufschlagen sah.

Das passiert einem nicht jeden Tag, dachte Herr D., und wartete, bis der Besitzer des Zigarettenautomaten in der Tür erschien und mit verdutztem Gesichtsausdruck die verbeulten Überreste seines Automaten begutachtete. »Und du kannst froh sein, daß du nicht gleich hinterhergeflogen bist und so aussiehst wie dein blöder Automat da!«, hörte Herr D. von hinten die Stimme des Lokalbesitzers. Gut gelaunt setzte er jetzt seinen Weg zur Arbeit fort, nicht einmal die Liebich konnte seiner guten Stimmung etwas anhaben.

Noch am Abend betrat Herr D. gut gelaunt die Aubergine, um bei Scharif, einem polnischen Tunesier, eine italienische Pizza zu essen. Und um sich von Scharif, dem Mann aus dem Land der Märchenerzähler, die kleine Geschichte vom fliegenden Zigarettenautomaten erzählen zu lassen.

»Sag mal«, fragte Herr D., »könnte es sein, daß ich heute Morgen einen fliegenden Zigarettenautomaten gesehen habe?« Scharif schüttelte den Kopf. »Unmöglich! Ein Zigarettenautomat ist doch kein Teppich!« Aber dann erzählte er doch. Wie dieser Typ von der Automatenfirma schlecht gelaunt hereinkam und sich weigerte, zwei Zigarettenmarken gegen andere Marken auszutauschen, weil er dann noch einmal hätte zum Auto gehen müssen. Und wie er dann langsam immer patziger wurde, »dieser Penner«, und wie Scharif dann langsam und klammheimlich immer wütender wurde, bis er den ganzen Automaten nahm und auf die Straße beförderte, als handele es sich um eine winzige Packung Extra-Light.

»Weißt du, Herr D., ich arbeite seit 23 Jahren in der Gastronomie, ich habe in Tunesien, in Polen, in der DDR und im Westen gearbeitet, und ich höre es, wenn jemand auch nur ,Kanacke’ denkt! Vielleicht bin ich da ein bißchen sensibel – aber wenn mir jemand sagt, ,Also, hör mal zu, du…’ – oder ,mach doch mal, du…’, und dann kommt nichts mehr hinter dem ,… du…’, dann höre ich diese leeren Stellen in den Sätzen, und weiß, daß da eigentlich ,Kanacke, Araber, Ausländer’ stehen müßte. Ich höre das, was die verschweigen. Verstehst du?«
Herr D. nickte.

»Du weißt ja, Herr D., ich hab’ Politologie studiert, ich war immer engagiert, in Polen, in der DDR, und ich bins auch hier noch. Auch wenn es jetzt nicht mehr um Sozialismus oder Solidarnosc geht, sondern um meine eigene Haut. Meine dunkle Haut. Oder um die Kopftücher. Oder um die Turbane. Ich frage dich: Warum dürfen die Juden in Deutschland noch ihre Schläfenlocken tragen, wo doch das Kruzifix oder das Kopftuch in den Klassensälen verboten ist? Ist das nicht auch ein politisches oder von mir aus religiöses Symbol? Warum erlaubt man es den einen und verbietet es den anderen?«
Herr D. nickte.

»Weißt du, ich bin der Chef der Aubergine, das ist mein Lokal. Und ich habe eine Idee: samstags Krawattenzwang! Ohne Krawatte fliegst du raus, Herr D. Und sonntags ist Kopftuchzwang. Ohne Kopftuch fliegst du raus, Herr D. Montags ist Turban. Dienstags nur Leute mit Rauschebart…« Scharif schlug sich auf die Schenkel. »Und weißt du was? – In zehn Jahren, das sag ich dir, in zehn Jahren sind die hier alle die besten Freunde! Und dieses Lokal hier ist richtig berühmt! Weil das dann wirklich Multi-Kulti ist, und nicht so’n blöder Karnevalsumzug wie beim Karneval der Kulturen!«
Herr D. nickte. <br>

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