April 2004 - Ausgabe 56
Die Geschichte
Tiyatrom - zwanzig Jahre türkisches Theater von Michaela Prinzinger |
»Tiyatrom heißt Mein Theater«, erklärt Yekta Arman. Zu Recht, denn seit genau zwanzig Jahren leitet er die Bühne in der Alten Jakobstraße 12. Obwohl seit 1995 die Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten die Etatmittel kontinuierlich kürzt, bringt das Theater in jeder Spielzeit zwischen September und Juni vier bis fünf neue Stücke heraus. Tiyatrom verstehe sich als Aufführungsort für bundesweit agierende türkische Theatergruppen, türkische Staatstheater und städtische Berliner Bühnen, erzählt Arman und stellt Tee und Kaffee auf den Tisch. Schon 1971 existierte eine türkische Theatergruppe an der Volkshochschule Kreuzberg, und seit 1979 ein türkisches Ensemble an der Schaubühne. 1983 wurde von Berufsschauspielern und Laiendarstellern der Verein Odak e.V. gegründet, der schließlich zum Tiyatrom führte. »Ausgerechnet ein CDU-Mann, Hasselbach, hat uns den Weg geebnet, von dem sich anfangs keiner vorstellen konnte, daß er sich für die Immigranten stark machen würde!« Arman wundert sich heute noch darüber. Yekta Arman hat zunächst BWL und erst später Theaterpädagogik studiert, obwohl ihn seine Eltern lieber als Mediziner gesehen hätten. Familie Arman ist seit sechshundert Jahren in Istanbul ansässig und seit Generationen – so auch sein Vater und der Großvater – im Apothekerberuf tätig. Auch die ersten Erinnerungen des kleinen Yekta stammen aus der elterlichen Apotheke, die vom Geruch der Heilmittel erfüllt war. Doch Yekta schlug einen anderen Weg ein. In Istanbul besuchte er eines jener wenigen Gymnasien, deren Abitur auch in Deutschland anerkannt wurde, und entschloß sich nach einem Putsch und der Schließung der türkischen Universitäten Anfang der siebziger Jahre, nach Berlin zu gehen. Er sprach kein Wort deutsch, obwohl er in den Sportstadien Istanbuls mit den Schülern der deutschen und der österreichischen Schulen in Kontakt gekommen war. Dennoch erleichterten ihm diese ersten Bekanntschaften den Entschluß, in Berlin zu studieren, auch wenn er die Sprache noch nicht verstand. »Und ich bin auch froh, daß ich in einem Stadtteil aufgewachsen bin, der in der Nähe des jüdischen, des armenischen und des griechischen Viertels lag. Ich bin von Anfang an mit verschiedensten Nationalitäten und Mentalitäten in Berührung gekommen!« Die Erfahrung im Schmelztiegel Istanbul hat sich später als nützlich erwiesen. Auf den »Kulturschock Berlin« war er allerdings nicht vorbereitet gewesen. Als er seine erste eigene Wohnung besichtigte, sich mit Durchsteckschlüssel, drittem Hinterhof, feuchten Wänden und Etagenklo vertraut machte, fragte er sich, ob er »eigentlich schon in Europa« sei. Seine Zweizimmerwohnung kostete 38 DM, »und das Verhältnis von der Mark zur Lira war fast eins zu eins. Auch die Lebenshaltungskosten waren ähnlich hoch wie in der Türkei, was hier eine Mark kostete – ein Päckchen Zigaretten zum Beispiel –, kostete in der Türkei 80 Pfennig. Erst in den achtziger Jahren ging die Schere dann extrem auseinander«, erinnert sich Arman an seine Anfangszeit in Berlin. Yekta Arman mit der Jugend-Theatergruppe Foto: Theater Tiyatrom
Dem jungen Yekta kam zugute, daß er 1971 eine Lerngemeinschaft mit deutschen Kommilitonen gründete. Seit damals besitzt er vier enge Freunde, mit denen er bis heute Kontakt hält. Zunächst hatte er das Fach Meteorologie ins Auge gefaßt, dann entschied er sich für das praktische und vernünftigere Fach BWL. Doch nur, um sich nach dem Erwerb des Diploms endgültig dem Theater zuzuwenden. »Von den 38 Studenten aus der Türkei, die sich 1971 an der TU eingeschrieben hatten, machten nur 17 einen Abschluß. Insgesamt waren damals 5000-6000 Türken in Berlin. Die Szene war noch sehr überschaubar.« Was er jedoch an der Universität nicht lernte, das war die deutsche Sprache. Die lernte er in der Kleiderreinigung von Frau Emma-Maria. Den Job hatte er von seiner Kommilitonin Iris vermittelt bekommen, deren Mutter mit Frau Emma-Maria befreundet war. Und er hat mehr als nur die deutsche Sprache von Frau Emma-Maria gelernt: »Seither beherrsche ich das Bügeln von Oberhemden aus dem Effeff.« Der Mund von Frau Emma-Maria jedenfalls stand niemals still – ein Segen für den jungen Türken, der durch ihre Erzählungen und ihre Gespräche mit den Kunden die Denkmuster einer fremden Sprache, und damit allmählich auch die Mentalität der Deutschen begreifen lernte. Und auch, wenn ihm die BZ – die standesgemäße Leib- und Magenlektüre der Frau Emma-Maria – nicht besonders sympathisch war, konnte man sie doch nicht einfach ignorieren, wenn man die Deutschen wirklich verstehen wollte. Ohne das Studium dieser Postille hätte er wohl damals, als Frau Emma-Maria ihm nur zögerlich ihren Dackel zum Gassi-Gehen anvertrauen wollte, nie diese treffende Antwort geben können: »Glauben Sie, ich brat’ ihn mir in der Pfanne?« Müdür, Direktor, steht nun auf seiner Visitenkarte, doch ab und zu denkt er noch immer an seine ersten Deutschstunden zurück. Sie haben ihm geholfen, auf sein Publikum zuzugehen, denn das setzt sich zu 65% aus Türken und zu 35% aus deutschen und anderen Besuchern zusammen. Den Hauptanteil der Zuschauer bilden Akademiker, Arbeiter und Angestellte zwischen 25 und 35, sowie Schüler und Studenten. Tiyatrom wirbt seine Besucher hauptsächlich über die fast vierzig türkischen Kulturvereine in Berlin an. Doch auch unter der türkischsprachigen Bevölkerung, genauso wie der deutschen, besucht nur ein verschwindend geringer Prozentsatz überhaupt ein Theater. Dienstags, mittwochs und donnerstags gibt es am Vormittag die Möglichkeit, Stücke für Kinder »vorzubestellen«. Denn erst bei mindestens fünfzig Zuschauern können die Schauspieler bezahlt werden. In den letzten Monaten standen »Robinson und seine Freunde« und »Die Walnuß und die Ameise« in türkischer und in deutscher Sprache auf dem Spielplan, ebenso wie Gastspiele deutscher Bühnen, Stücke in türkischer Sprache, Konzerte, Lesungen und Filmvorführungen. Yekta Arman hat sich stets für die Jugendarbeit am Theater engagiert und versucht, auf die Eltern einzuwirken, wenn althergebrachte autoritäre Erziehungsmethoden wirkungslos blieben. Was er heute feststellt, ist: Die Jugendlichen wollen wieder mehr Stücke auf türkisch erarbeiten und spielen. »Vor zehn bis zwanzig Jahren war das noch anders: Da wollte man auf deutsch spielen, um die Deutschen zu überzeugen, daß die Türken anders sind, als die Vorurteile es behaupten. Heute suchen die Jungen wieder nach den eigenen Wurzeln.« <br> |