April 2004 - Ausgabe 56
Die Geschäfte
Kleiderkunst von Jürgen Jacobi |
Wer die Anonymität von Modekaufhäusern schätzt oder auf der Schnäppchenjagd den erbeuteten Fummel triumphierend über den Köpfen der Konkurrentinnen schwenken will, ist vermutlich kein potentieller Kunde von Micaela Taubert. Die gläserne Schiebetür zu ihrem Atelier im Tiefparterre in der Riemannstraße öffnet wahrscheinlich nur, wer erstens seinen Geschmack nicht an der Stange hängen sieht und zweitens Modegeilheit nicht noch mit Geiz paaren will. Abgesehen davon, daß ihre Kundschaft nicht dem Massenphänomen erliegt, die Zugehörigkeit zu einer Modegruppe mit einem freiwillig getragenen Brandzeichen oder Logo zu dokumentieren, bringt diese Kundschaft etwas mit, was rar geworden ist: Gesprächsbereitschaft und Zeit. Es ist, als ob mit dem Schließen der Schiebetür die Hektik ausgesperrt wird und Nostalgie eintritt. Aber welche Nostalgie? Und aus welchem Grunde? Ist es die kleine Empfangsecke gleich hinter der Eingangstür, ausgestattet mit Kaffeemaschine und Teekanne? Wohl kaum, die gibt es auch in chromblitzenden Autocentern. Also schweift der Blick nach der Begrüßung und bei einem Schluck Kaffee im Atelier umher. Sind es die gußeisernen Industrie-Nähmaschinen, deren abgenutzter, grüngrauer Lack vom Akkord inzwischen pensionierter Näherinnen zeugt? Oder das strapazierte Parkett vor dem Standspiegel, in dem die Kundinnen ihr eigenes Abbild argwöhnisch beobachten – sich drehend und wendend, bald zweifelnd, bald von sich angetan? Auf einem Tisch drängen sich einige Stoffballen in zurückhaltenden Farbtönen aneinander. Alle Variationen von Grau bis Schwarz, matte Grüntöne und zurückhaltendes Orange. Meist Leinen, Seide, Kaschmir oder andere Schurwolle, manchmal von dezenten Mustern und Maserungen durchzogen. Samt verwendet sie seltener. Der anschmiegsame Stoff würde dann doch zu sehr jede unvorteilhafte Rundung ihrer meist nicht mehr ganz jugendlichen Kundschaft preisgeben. Wer jetzt auf Tuchfühlung mit den Ballen gehen muß, hat den Grund der Nostalgie in der Hand: Dies ist der Stoff, aus dem die Klassiker der 50er Jahre geschneidert wurden, Frau Tauberts Lieblingsepoche. Von den wattierten Schultern der um Durchsetzung bemühten Geschäftsfrauen in den 80er Jahren hält sie nichts. Foto: Peter Fichna
Daß Micaela Taubert Kohlestift oder Kreide zu ihrem liebsten Handwerkszeug erklärt, erschließt sich nicht nur aus den vielen Aquarellen, Gouachen und Zeichnungen an den Atelierwänden. Die diplomierte Modedesignerin nahm Privatunterricht in Sachen Grafik. In vielen ihrer selbstgestrickten und manchmal zu Verfremdungszwecken gefilzten Pullovern entdeckt der Betrachter manchmal streng geometrische, niemals aber verspielt organische Ornamente. Nach der Inspiration für diese dezent gesetzten Blickfänge befragt, antwortet sie: »Aus der Architektur der Maya-Kultur. Und was ich als nächstes verwenden möchte, sind Naturmaterialien. Ich habe Fotografien von Holz und Steinen. Die scanne ich am Computer ein und verändere sie soweit, daß ich sie verwenden kann. Das ist sehr experimentell mit dem Computer, und man muß dafür viel Zeit aufbringen. Denn meistens stricke ich erstmal einige Proben, um zu sehen, wie das überhaupt ausschaut.« So viel experimenteller Wagemut ist bei traditionell gehaltenen Kostümen oder Jacken natürlich fehl am Platz. Dann dienen eher klassische Schnitte aus der Jahrhundertwende, abgewandelt und angelehnt an heutige Modeerwartungen, als Vorbild. Was ist daran klassisch oder zeitlos? »Naja, die Taille, würde ich sagen, ist klassisch. Sie ist figurgemäß gearbeitet. Bis zur vorletzten Jahrhundertwende wurde ja ziemlich viel mit Korsagen gearbeitet. Ich habe noch viele historische Schnitte, die ich verwende.« Was? Verwendet die Designerin etwa noch mit Fischgrät versteifte Korsagen und Korsette, zur Betonung der weiblichen Brust und unter Inkaufnahme von Ohnmachtsanfällen ihrer Kundinnen? Micaela Taubert lacht, ein bißchen entsetzt und ein bißchen amüsiert. »Nein, natürlich nicht. Es gibt einen Grundschnitt, den man in abweichende Formen umwandeln kann.« Micaela Taubert, die zwar kein Vorbild hat, aber von der Modeschöpferin Gabriele Strehler zumindest beeindruckt ist und deren Zitat: »Laute Töne tun weh« als Motto über ihre eigene Arbeit stellen könnte, ist im Schnitt dieser Kreation immerhin sehr weit davon abgewichen. Ist sie bei diesem Stück entgegen ihrer modischen Linie nicht doch sehr wagemutig geworden? »Ja.« Micaela Taubert lächelt, unverblümt und doch leicht verschmitzt. <br> |