September 2003 - Ausgabe 50
Die Literatur
Jürgen Jacobi: Heimkehr nach Kreuzberg von Jürgen Jacobi |
Im Osten geht die Sonne auf. Fritz tritt kräftiger in die Pedale. Er weiß nicht so recht, ob er den Abend im Wedding bereuen oder als Bereicherung ansehen soll. Den indiskreten Charme des Proletariats – ein Standardspruch von ihm – manchmal hat er ihn bitter nötig. Nur aus diesem Grunde hat er die vergangene Nacht mit einem Freund in der Weddinger Eckkneipe verbracht. Lisa, seine Frau, drückt immer beide Augen zu. Im Bergmannstraßenkiez ginge das nicht. Lisa hat ihn mehrmals eindringlich davor gewarnt. Bitte keinen Suff, keine Nutten, keine Prolls, bitte keinen Kontrollverlust, nicht hier im Kiez. Sein Ruf würde leiden. Denn Fritz ist kurz vor einem gewaltigen Karrieresprung. Öffentlich-Rechtliches, Filmproduktion. Und er will springen. Aber jetzt nur noch nach Hause. Bestimmt hat Lisa schon vorsorglich grünen Tee in den Kühlschrank gestellt. Hoffentlich schläft sein Sohn an diesem Sonntag noch. Fritz möchte ihm mit einem menschlichen Antlitz gegenübertreten. Im Osten geht die Sonne auf. Am 17. Juni steht die Ampel auf Rot. Er bremst mit dem Rücktritt und blickt über seine linke Schulter zum Brandenburger Tor. Auf der Quadriga liegt die Sonne. Rot und rund, und sie lächelt – jawohl, dabei bleibt er – sie lächelt wie Mao Tse Tung. Sie haben gebrüllt vor Lachen, haben mit ihren arbeitslosen Händen auf die Tischkanten gehauen. Einer hatte ihn mit vor Lachen erstickender Stimme angefleht, noch einmal den Vergleich zwischen Mao und der Sonne zu machen. Ein Hertha-Fan, ebenso blau wie sein linkes Auge und sein Trikot, brüllte lauthals Maoam, Maoam … – Fritz hatte sich hilflos nach der ukrainischen Bedienung umgesehen. Die ganze Zeit hatte sie mit am Tisch gesessen. Sein Freund hatte ein Gedicht von Goethe vorgetragen. Keiner hatte gelacht. Warum lachten die nur bei ihm, bei Mao? Die ukrainische Bedienung wußte nicht, wer Goethe ist. Die kennt nur Klitschko, bemerkte einer. Jetzt steht er vor der roten Ampel. Keine Menschenseele weit und breit. Fritz fährt immer ohne Licht, ohne Reflektoren, ohne Vorderbremse, ohne Schutzblech, ohne Rücksicht auf die Straßenverkehrsordnung. Wenn sie ihm sinnlos erscheint. Und das tut sie oft. Fritz pflegt seine antibürgerlichen Attitüden. Die Ampel steht auf Rot, links das Gesicht Mao Tse Tungs, jawoll, über dem Brandenburger Tor, rechts die Goldelse. Fritz nennt sie die Hure der Bourgeoisie. Fritz pflegt seine Standardsprüche. Natürlich nur in den richtigen, in intellektuellen Kreisen. Warum macht er an dieser Ampel Halt? Weil er bald seinen ersten Film drehen wird, und jetzt hat er die Idee zur Schlußeinstellung: Genau neben der Ampel wird die Kamera stehen. Er sieht alles deutlich vor sich: Schwarze Nacht. Blende auf. Eine rote Sonne über dem Brandenburger Tor. Digital manipuliert, so daß selbst jeder Blinde Mao erkennt. Die Kamera schwenkt nach rechts. Die Siegessäule. Die Allee des Arbeiteraufstandes ist menschenleer. Musik aus dem Off. Die Kamera fährt in die Höhe. Der Zuschauer sitzt quasi hinter ihr. Und man sieht: aus dem Dunkel des Tiergartens, quasi aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, dringen die Massen auf die Allee des Arbeiteraufstandes. Nur das Budget für zigtausend Statisten wird ein Problem werden. Aber Georg, sein bester Freund, wird es richten. Auf Georg ist Verlaß. Nicht umsonst wohnt Georg um die Ecke in der Nostitzstraße. Die Ampel schaltet jetzt auf Grün und er radelt los. Seinen baldigen Erfolg, seine Karriere wird er Lisa widmen. Sie hat lange genug beide Augen zugedrückt. Als er den Landwehrkanal überquert, sieht er sie sofort. Auf dem noch dunklen Wasserspiegel liegt eine Prinzessin. Ganz wenig nur taucht ihr makellos weißer Körper in das Wasserbett. Es trägt die Schönheit scheinbar auf Händen. Auf ihrem schlanken Leib ist das Wort »Spreeprinzessin« aufgemalt. Auf ihrem Rücken trägt sie blaue Plastikstühle. Niemand ist zu sehen. Noch ist es eine einsame, etwas melancholisch wirkende Prinzessin. Fritz möchte jetzt ganz schnell zu Lisa nach Hause. Unter der Brücke vollführen ein paar Obdachlose ihre morgendlichen Dehnübungen. Einer von ihnen reckt dabei eine Wodkaflasche in die Höhe. Der Anblick der Obdachlosen erweckt in Fritz Zweifel an der Sicherheit seiner öffentlich-rechtlichen Zukunft. In seinen Gedankenfluß dringt jetzt kaum merklich ein Geräusch. Ein Knacken und Rascheln liegt in der Luft. Anfangs weiß er es nicht zu deuten, doch dann sieht er im Vorbeifahren etwas von einem Baum fallen. Und da, weiter vorne, geschieht es wieder. Und dann erkennt er, was es ist. Von den Platanen fällt die Rinde ab. Es knistert und raschelt, die Bäume entblößen sich, sie werfen ihre Rinde ab, entkleiden sich in der Sommerhitze. In Fetzen hängt sie vom Stamm, in Streifen schält sie sich vom Körper, nackte Stellen hinterlassend, räudig und ausgetrocknet von der Sommerhitze. Vielleicht sollte ich doch von der PDS zu den Grünen wechseln, denkt Fritz. Aber schon sein Überlaufen von den Maoisten zu den Ost-Sozialisten hatte ihm Bauchschmerzen bereitet. Foto: Peter Fichna
Den Schattenspender mit dem wuchernden Grün hatte er zusammen mit Miriam aus dem 4. Stock nach endlosen Diskussionen in der Hausgemeinschaft durchgesetzt. Seine erste körperliche Arbeit, noch dazu basisdemokratisch abgesegnet. Zwischen die vielen Seiten seiner Studien traten damals für einige Tage Buchenholz und Holzschutzmittel, Gewindeschrauben, verzinkte Bandeisen und Kontermuttern. Vor allem aber Miriam in dem lilafarbenen Blaumann, dessen Latz ihre Brüste nur halb verdeckte. Fritz umarmt den Pfosten der Pergola und blickt zum 4. Stock hinauf. Sie hatten viel Spaß zusammen, der Bau der Pergola lief wie geschmiert. Er hatte noch erwogen, Miriam zu einer ebenfalls efeubewachsenen Sichtblende für die Mülleimer zu bewegen. Die Frage hatte er tagelang vor sich hergeschoben. Und als sie am letzten Tag schon beim Aufräumen der Werkzeuge waren, da tauchte dann Lisa zwischen ihnen auf. Eine Gesprächspause trat ein, die Fritz in den folgenden Monaten und Jahren hartnäckig verfolgte. Bis zur Geburt seines Sohnes schleppte er sie mit sich herum. Dann füllte Max Raum und Zeit. Nichts blieb mehr leer, Lisas Brüste füllten sich mit Milch, die Wohnung mit Windeln und Puderdosen. Fritz löst sich mit einem Ruck von dem Holzgerüst und tapst langsam in den 3. Stock. Wiederholt zielt er mit dem Schlüssel nach dem Schlüsselloch. Da geht die Tür wie von Geisterhand auf. Max, sein Sohn, steht mit seinen großen, ewig fragenden Augen stumm im Gang. In diesem Moment faßt Fritz den Entschluß, ihm zum Geburtstag doch die riesige Wasserpistole zu kaufen, ganz gegen seine pazifistische Grundhaltung. Fritz sucht Halt an der Garderobe und konzentriert sich auf die korrekte Aussprache eines Satzes. Er will Max ein gutes Vorbild sein. Warum er denn schon auf den Beinen sei, will er von seinem Sohn wissen. »Mama bringt Onkel Georg noch schnell nach Hause, davon bin ich aufgewacht«, antwortet Max. Fritz ist schlagartig nüchtern. <br> |