September 2003 - Ausgabe 50
Die Geschäfte
»Chronika« von Matthias Oppelt |
Immer wieder sprechen unsere Leser von »der Chronika«. Sie meinen damit nicht den gleichnamigen Buchladen in der Bergmannstraße oder die gleichnamige deutsch-griechische Zeitschrift, sie meinen damit die Kreuzberger Chronik. Wir haben es inzwischen aufgegeben, unsere Leser zu korrigieren. Wir haben gegen »Chronika« einfach keine Chance. Der Name »Chronika« ist eine Art Ohrwurm, der sich bis tief ins kollektive Gedächtnis der Kreuzberger vorgearbeitet hat. Ausgerechnet in jenem Monat nun, in dem die Kreuzberger Chronik ihre fünfzigste Ausgabe vorbereitet, droht die Buchhandlung Chronika in ihrem Schaufenster mit dem Totalausverkauf. Ein Buchladen, der schon Kultcharakter hat und dessen Werbeanzeige fast vier Jahre lang die Rückseite unseres Heftchens schmückte. Ein Buchladen, der weit über den Kiez hinaus bekannt ist. Die leeren Bücherregale von Chronika sind ein sicheres Indiz für die schwierige Lage, in der sich auch Gewerbetreibende und Kleinunternehmer im Vorzeigekiez um die Bergmannstraße derzeit befinden. Unabhängig davon, wie gut ihre Konzepte und ihre Arbeit auch sein mögen, oder welch vielleicht wichtige Rolle sie in ihrem sozialen Umfeld erfüllen. Diejenigen, die aufgeben, werden mehr und strafen die beharrlich von den Regierenden weiter verbreitete Saga vom kommenden Aufschwung Lügen. Ein Jahr ist es her, da schloß, nur wenige Meter entfernt, bereits eine andere traditionsreiche und mit ebenso professioneller wie liebevoller Hand geführte Buchhandlung: Ringelnatz. Der Eigentümer des Hauses verlangte nach Ablauf des Mietvertrages eine exorbitante Summe, inzwischen ist ein weiteres Restaurant dort eingezogen. Das Essen ist nun einmal wichtiger als das Lesen. Frau Schuhmann, die Inhaberin der Buchhandlung Ringelnatz, sah das anders. Sie war mehr als nur eine Buchhändlerin, sie war ein Anwalt des geschriebenen Wortes. Auch die Buchhandlung Chronika kämpfte aus Überzeugung. Und mit allen Mitteln. Bei der Dekoration ihres Schaufensters überraschte sie eines Tages mit einer Auslage, die nicht die Zugpferde der Literatur und vermeintlichen Verkaufsschlager zur Schau stellte, auch nicht die griechische oder die schwul-lesbische Literatur, auf die sie sich spezialisiert hatte. Nein, sie bestand ausschließlich aus roten Büchern. Vielleicht war das eine erste Ankündigung drohenden Unheils und ein erster kleiner Protest gegen die schwindende Leserschaft, die sich immer häufiger von großangelegten Werbefeldzügen großer Verlage in die Irre führen ließ. Im August jedenfalls klebten in riesigen Lettern die Rabatte am Schaufenster, als handele es sich beim Buch um Unterhosen und Socken, und drinnen stand eine Waage mit Buch, als sei das Wort nichts anderes als ein Stück Leberwurst und ließe sich nach Gewicht verkaufen. So sarkastisch-ironisch diese Anspielungen auch gewesen sein mögen: Herzhaft lachen konnten die beiden Buchhändler, die 1997 noch eine mehrmonatige Lesereihe in der Kulturbrauerei veranstaltet hatten und einen Buchladen besaßen, der zweifellos seine Liebhaber und seine Liebhaberinnen hatte, bei der finalen Schaufenstergestaltung wahrscheinlich nicht. Daß Laser und Ioannou Bücher und nicht Socken oder Schokolade verkauften, war kein Zufall. Foto: Peter Fichna
Ebenso wie die Veranstaltungen mit griechischen Musikern in der Passionskirche, die Chronika mit ihrem Schwerpunkt für griechische Literatur veranstaltete. Es war eine ganze Reihe hervorragender und gut besuchter Konzerte mit den Stars der griechischen Musikszene, Frauen wie Alkistis Protopsalti, Savina Yannatou oder Maria Farantouri. Doch auch wenn die Idee den beiden Buchverkäufern nur deshalb gekommen war, weil sie einige griechische CDs in ihren Regalen stehen hatten und diese tagelang hörten, und weil die Leute ständig fragten, was das denn für eine Musik sei: Die neidvolle Konkurrenz unter den Konzertmachern schlief nicht und ließ einen bösartigen Artikel über die Buchhändler veröffentlichen, die gefälligst bei ihren Leisten bleiben sollten. So endete, zur Enttäuschung vieler, auch das Kapitel der griechischen Konzerte in der Passionskirche. Die Kirche gleich gegenüber dem Buchladen jedoch räumten die beiden Buchhändler nicht. Schließlich war ihnen schon vor einiger Zeit die geniale Idee gekommen, eine im schwul-lesbischen Kreuzberg politisch korrekte Persiflage auf das Literarische Quartett des Quotenjägers Reich-Ranicki zu starten: Das Lesbische Quartett. Sogar der biedere Tagesspiegel lobte die Veranstaltung in höchsten Tönen, und die Kreuzberger Chronik schrieb amüsiert, daß die lesbischen Kritikerinnen vor dem Altar tatsächlich nur »selten etwas übrig ließen von den Ergüssen der weiblichen Federhalter«. Die Akteurinnen hatten offensichtlich eine große Freude daran, »sich in bissigen Kommentaren über ihre lesbischen Geschlechtsgenossinnen bzw. das andere Geschlecht« auszulassen. Die Veranstaltung wurde zum Kult und die geschlossenen Sitzreihen in der Kirche ließen den Pfarrer allmählich ins Grübeln geraten. Mit solchen Ideen und Aktivitäten belebten Ioannou und Laser die Bergmannstraße, und auch die Kreuzberger Chronik verdankt ihre Geburt letztendlich den beiden Buchhändlern. Es war im Sommer 1998, als Michael Laser und Charalampos Ioannou mit der Idee von einer Kiezzeitung schwanger durchs Revier zogen und sich nach geeigneten Mitarbeitern umsahen. Ein Konzept wurde entworfen, das Layout entstand, erste Anzeigenkunden wurden ausfindig gemacht. Und irgendwann im Dezember 1998 wurde in einem kleinen, aber feinen Restaurant in der Heimstraße – im Slobo’s, das es auch schon nicht mehr gibt – die Nullnummer gefeiert. Die Buchhändler haben auch mit der Kreuzberger Chronik viel Gespür für die Marktlücke bewiesen. Ebenso wie bei den von ihnen veranstalteten Konzerten, den Lesungen oder dem Lesbischen Quartett. Und ebenso wie bei dieser deutsch-griechischen Zeitschrift, die sie seit fast zehn Jahren deutschlandweit herausgeben, und die den gleichen Namen wie ihr Buchladen trägt: Chronika. Der Buchladen in der Bergmannstraße ist nur acht Jahre alt geworden, aber er hat in dieser kurzen Zeit ein Stückchen Kiezgeschichte geschrieben. Nun räumen die erfindungsreichen Buchhändler die Bücher aus. Verkaufen, was noch in ihren Regalen steht. Doch aufgeben werden sie nicht. Sie werden weiter Bücher verkaufen. Nur daß es keine druckfrischen mehr sein werden: Chronika wird zum Antiquariat. Und der Herausgeber der Kreuzberger Chronik wird sich wohl endgültig damit abfinden müssen, daß der Volksmund seine Kiezzeitung auch nach fünfzig Nummern noch immer nicht »Kreuzberger Chronik«, sondern kurz und bündig »Chronika« nennt. <br> |