Kreuzberger Chronik
September 2003 - Ausgabe 50

Essen, Trinken, Rauchen

Döner am Hermannplatz


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von Michael Unfried

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Stellen Sie sich vor, Sie laufen nichtsahnend am Hermannplatz entlang, verspüren einen gewissen Appetit, haben aber keine Lust auf diese ausgetrockneten Brezeln und Käsestangen aus dem Karstadthaus, entdecken tatsächlich einen Dönerstand im Marmorpalast des Kaufhauskonzerns, treten an die Theke und bestellen einen Döner. Dann sehen Sie einen Mann das Messer wetzen, dessen Haare wie mit Pomade beschmiert über die hohe Stirn nach hinten gekämmt sind, der einen vom ewigen Grill gebräunten Teint hat, theatralisch-diabolische Augenbrauen und ein Lächeln, daß Ihnen irgendwie aus dem Fernsehen bekannt vorkommt. Und plötzlich treten Sie zwei Meter zurück, aus Angst, daß der freundlich lächelnde Mensch womöglich gleich die Hand auf Ihren Arm legen wird, um Sie zu fragen: mit Knoblauch oder ohne. Der Dönerverkäufer sieht aus wie Michel Friedman.

Das wäre doch gerecht. Nicht, daß wir etwas gegen Kokser hätten, Gott bewahre – das ist schließlich Privatsache. Ebenso privat wie die Damen, denen Herr Friedman einen Teil seines Honorars vermachte. Wenigstens auf diesem Weg wird ein bißchen was vom Kapital von oben nach unten verschoben. Aber gerecht wäre es trotzdem, wenn dieser Vielverdiener Friedman, der mit Hinz und Kunz in Ledersesseln sitzt und quatscht und dafür Geld bekommt, nun ein Jahr lang Döner verkaufen müßte, für fünf Euro die Stunde. So wie die Sozialhilfeempfänger zur Strafe für ihre Arbeitslosigkeit Parkanlagen sauberhalten müssen, für einen Hungerlohn.

Gerecht wäre es auch deshalb, weil die Promis, seien es nun koksende Musiker oder ehefraumordende Boxweltmeister, seien es fehltretende deutsche Politiker oder Fernsehmoderatoren, stets mit einem blauen Auge davonkommen, während andere in ähnlichen Fällen gleich K.O. geschlagen werden. Und zwar für immer. Doch der sogenannte »Fall Friedman«, der die Medien so lange beschäftigte, wird bald verjährt sein. Und es wird nicht lange dauern, bis RTL ihm eine neue Talkshow anbietet. Denn auch, wenn die Aktie Friedman eine offensichtlich rasante Talfahrt hinter sich hatte, ist sie längst wieder im Aufwind. So ist das immer mit denen, die von oben kommen. Die stürzen nie wirklich tief, die steigen stets wie der Phönix aus der Scheiße.

Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg des M. Friedman: Das ist für die Chronik eigentlich kein Thema. Doch fragt man sich angesichts des lächelnden Konterfeis, ob sich dieser Friedman nicht an diesem Mann aus Bagdad ein Beispiel nahm und eine ganze Reihe von Doppelgängern in Umlauf brachte, damit niemand weiß, wo der echte Friedman steckt. Und damit jeder denkt, daß der arme Teufel nun als Dönerverkäufer sein Leben fristen muß.

Ach, wir würden diesem pomadenschmierigen Moderator sofort einiges verzeihen, wenn er die sensationslüsternen Medien so genial an der Nase herumführen würde wie der polygame Regent aus Bagdad, der die Amerikaner mit seinen Doppelgängern voraussichtlich noch ein halbes Jahrhundert lang beschäftigen wird. Ebenso wie dieser Bin Laden, den man niemals finden wird, weil er, bevor man ihn zu fassen bekäme, sich mit hundertprozentiger Sicherheit in Nichts auflösen und mit einer Bombe in die Luft jagen würde, die ganz Manhattan in Schutt und Asche legen könnte. Nur, um den Amerikanern den Triumph zu vereiteln.

Tja, auf solche Gedanken kommt man, während man ganz friedlich am Hermannplatz an einem Döner kaut. Dann zerknüllt man das fettige Papier, ärgert sich über die Soße, die schon wieder auf die Jacke getropft ist, wirft einen letzten Blick auf all die anderen Fastfoodverschlinger, denen es weiß Gott beschissener geht als einem in Verruf geratenen Fernsehmoderator, und fragt sich, warum man sich um diesen Mann eigentlich so viele Gedanken macht. Bis einem einfällt, daß der Chef sagte, daß man diesmal schreiben könne, was man wolle. <br>

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