November 2003 - Ausgabe 52
Kreuzberger
Hauke Lang, Gastwirtin »Ständig jemanden um mich zu haben, das geht mir auf die Ketten!«
von Gabriele Bärtels
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Hauke tritt auf wie ein Mann: Breites Kreuz, stoppelkurzes, ergrauendes Haar, stämmige Beine, eine Taille ist nicht auszumachen. Ihre farblosen Sweatshirts haben Kastenform, ihre Füße stecken in groben Stiefeln. Sie kann einem frisch erlegten Reh »aus der Jacke helfen«, Bierfässer stemmen, in ihrer winzigen Küche »astreine« Büfetts für achtzig Personen fabrizieren, Zündkerzen wechseln, Fassaden verputzen, Möbel abschleifen und sich drastisch ausdrücken. Auf ihrer Visitenkarte steht als Berufsbezeichnung »Einzelkind«, und das trifft es genau, auch wenn Hauke einen Bruder hat. Mit 22 brach sie aus einer Kleinstadt aus und versucht seitdem, möglichst ohne Verbindlichkeiten auszukommen. Besonders freigiebig mit Informationen über ihre Jugend ist sie nicht, aber es ist leicht vorstellbar, daß man sie schon damals nicht niedlich gefunden hat. In ihrem gerechtigkeitsliebenden Wesen schwingt Zorn und Trotz. Hauke ist ausgesprochen schnell im Kopf, aber eine Ausbildung hat sie nie angesteuert, denn sie konnte sich schon nicht unterordnen, bevor sie sich dessen bewußt war. Ihr Handwerk lernte sie lieber beim Machen. Gleich nach ihrer Ankunft in Kreuzberg stellte sie sich hinter einen jener vielen Kneipentresen, von denen sie jetzt, sechzehn Jahre später, wegstrebt. Der erste stand in der »Roten Harfe«, wo »die autonome Szene am schwärzesten« war, wie der Spiegel damals schrieb. Dort zapfte sie, wuchtete Bierkisten, half Betrunkenen hinaus, bediente sich großzügig an den Drogen dieser Zeit und fuhr Motorrad, bis sie ziemlich zerschmettert im Krankenhaus landete. Acht Monate laborierte sie an den Folgen. Körperliche Schwerstarbeit war danach nicht mehr drin. Foto: Michael Hughes
Der einzige Mann, den sie geheiratet hat – da war sie 27 –, nannte man in den Schlagzeilen der Berliner Zeitungen den »Kudammkiller«. Das eheliche Zusammenleben endete nach drei Monaten und hatte etwas mit einem Messer zu tun. »Mein größter Fehler«, sagt sie heute. Seitdem weiß sie jedenfalls, was schon vorher offensichtlich war: »Ständig jemanden um mich zu haben, das geht mir auf die Ketten.« Sie verschränkt die Arme, und die Distanz, die sie zu allen Menschen einhält, wird sichtbar. Damals hat sie Wanda aus dem Tierheim geholt, eine große Mischlingshündin mit dunklen Augen – Haukes Gefährtin, ihr Gefolge, ihr Kind, vierzehn Jahre lang, bis sie fast zusammenwuchsen. Im Kiez um die Kreuzung Mittenwalder-, Fürbringerstraße stellt Hauke eine feste Größe dar. Vor zehn Jahren hat sie sich hier mit einer Kneipe selbständig machen wollen, hatte viel Geld hineingesteckt und alles verloren. Danach bewirtschaftete sie acht Jahre lang das Too Dark gleich um die Ecke, und wohnte im gleichen Haus. Das Too Dark ist eine Kellerkneipe und lebt von Stammgästen aus der Nachbarschaft. Auch wenn Hauke der Laden nicht gehörte, hat niemand je daran gezweifelt, wer hier alles unter Kontrolle hatte. Sechs Stufen in den Keller runter, oder im Sommer auch vor der Tür, saß Hauke als Spinne in ihrem Beziehungsnetz, servierte Apfelschorle oder Rotwein und webte und webte, bis sie das wandelnde Schwarze Brett der Straße wurde, mit Bekannten in jedem Mietshaus. Hockte man an der Bar, stellte sie die ewig gleiche Frage: »Möch’st noch was?« An jede Kaffeetasse legte sie zwei Kekse, und alle wußten, daß einer davon für Wanda war. Wanda wußte es auch und stand schon schwanzwedelnd dabei. Wie viele, die hier wohnen, hat Hauke den Bezirk kaum je verlassen, vermutlich nicht einmal das Reichstagsgebäude gesehen, und ihre letzte Urlaubsreise liegt sechzehn Jahre zurück. Ihre Freunde und Bekannten rekrutierte sie aus Kneipengästen, die – wie sie selbst auch – mit der Obrigkeit möglichst nichts zu tun haben wollen. Es sind Bauarbeiter und Freizeit-Jäger, Architekten, türkische Trödelladenbesitzer, Frauen aus der Lesbenszene, alleinerziehende Mütter, die Sozialhilfe beziehen, Halbwelt- und Grauzonen-Erscheinungen, Kreative. Sie leben hier hemmungslos durcheinander, tauschen Wohnungen und Werkzeuge, zeugen Kinder, feiern Julklapp im Too Dark, lassen anschreiben, wenn der Monat länger ist, als das Geld reicht, und manche sacken jeden Abend über ihrem Schnaps zusammen. Kunde, Freund, Saufkumpan, Bekannter, Feind, Störenfried, Wohnungsnachbar – die Beziehungsfäden verhedderten sich langsam, denn Hauke öffnete schon um vier Uhr nachmittags anstatt um sechs und sagte: »Ich mache es für Euch.« Auch an ihren freien Tagen saß sie von da an auf ihrem Stammplatz vor der Tür, zog Passanten mit einem lockeren Spruch an den Tisch. Sie leistete sich die gleichen Abstürze wie die verhaßten Saufnasen, die zu später Stunde die Bar umlagerten, füllte sich selbst mit steif gemixten Caipirinhas ab, torkelte im Morgengrauen in ihre Wohnung im ersten Stock des Hinterhauses, erzählte es am folgenden Tag dem Kneipenpublikum als Heldentat. Immer häufiger klagte sie: »Ich könnte Bücher schreiben über sie. Ich weiß genau, worüber sie in fünf Jahren reden. Ich kann das Gesocks nicht mehr sehen.« Wer nun das Too Dark betrat, konnte sich der düsteren, abwehrenden Stimmung, die Hauke verbreitete, nicht mehr erwehren. Sie saß unansprechbar auf ihrem Barhocker, Wanda schlafend hinter sich. Es war, als wären die anderen Schuld daran, daß sie zu Haukes Stammgästen geworden waren, als hätten sie dafür dankbar zu sein, daß sie ihnen jahrelang ihr Wohnzimmer zur Verfügung gestellt hatte, um sich darauf herumzulümmeln, während sie die ganze Arbeit machte. Sie spielte mit dem Gedanken, sich loszureißen, aus Berlin zu verschwinden. Sie drohte laut damit und flirtete heimlich mit der trotzigen Gewißheit, eine breite Lücke zu hinterlassen. Sie begann, ihre Launen an den Gästen auszulassen, und es mehrten sich protestierende Stimmen. Nach einem Jahr harter Konfrontationen reduzierte Hauke ihre Arbeitszeit auf die Hälfte und schwor, privat keinen Fuß mehr ins Too Dark zu setzen. Nun hatte sie sich selbst ausgestoßen, und wenn sie aus dem Haus trat, wandte sie sich nicht mehr nach links. Aber wohin sollte sie gehen? Hauke saß in ihrer Wohnung, beklebte Postkarten, die eine Freundin verkaufte, schliff alte Schränke ab, veranstaltete Essen für zehn Personen an ihrem großen Eichentisch, grübelte. Ende letzten Jahres bot ihr dann ein befreundeter Hausbesitzer aus der Mittenwalder Straße eine heruntergekommene, ehemalige Pizzeria an: »Mach doch ein Restaurant auf!« Mietfreiheit während der Renovierung, danach ein sehr langsam ansteigender Zins – großzügige Bedingungen. »Kriegt nicht jeder, kriegst nur Du, weil ich Dich kenne«, sagte er. Hauke besaß »komplett kein Geld« und auch nicht die Absicht, irgendeine Stelle um ein Existenzgründungsdarlehen anzugehen, aber als sie bei der Besichtigung entdeckte, daß der Tresen im Restaurant ganz hinten bei den Toiletten lag und nicht einmal Barhocker davorpaßten, griff sie entschlossen zu. Sie war siebenunddreißig, sie würde nicht zulassen, daß man in ihrem Restaurant bis in die Nacht hockte, um zu saufen, und sie besaß ein Startkapital, das im Kiez mehr zählte als Geld: jahrelang gewachsene, gute Beziehungen. Foto: Michael Hughes
Letztendlich war wohl auch Hauke überrascht, wieviel Hilfe man ihr anbot: Monatelang werkelten verschiedene Menschen im Laden, die alle nichts daran verdienten, es waren sogar Stammgäste aus dem Too Dark dabei, die ihr gelegentliche Anraunzer verziehen hatten. Der Architekt machte die Planung, der Handwerker zog Decken ein, einer spendierte eine zwanzig Meter lange, gebrauchte Markise, andere zapften Geschäftspartner an, um an billige Auslegware zu kommen sowie eine komplette Bestuhlung. Sie organisierten auch mal was vom Bau und zogen fachmännisch neue Leitungen. Haukes Bruder und ein Freund hielten sie während der Renovierung mit zinslosen Krediten über Wasser. Hauke wurde mit ihrem größten Problem konfrontiert: »Ich kann ganz schlecht ,Bitte` sagen und arbeite lieber achtzig Stunden, damit ich mich nicht bedanken muß.« Tatsächlich hatte es gelegentlich den Anschein, als müsse man ihr Hilfe geradezu aufdrängen, als sei es ihr lieber, von aller Welt verlassen zu sein. Deshalb lag die Arbeit manchmal brach. Sie lag auch brach, wenn Hauke mal wieder einen Absturz hatte und tagelang zuviel Promille im Blut. »Aber es werden weniger. Die Welt ist dann nicht mehr realistisch. Ich will nicht dauernd neben mir herlaufen.« Mit dem Tag der Fertigstellung schaffte Hauke Verbindlichkeiten, die nicht mehr so leicht zu lösen sind wie ein Kneipenjob, und sie übernahm das erste Mal Verantwortung für eine Arbeitskraft: Der neue Koch kam aus Süddeutschland. Die Eröffnung wurde mehrfach verschoben, und einige Leute runzelten schon die Stirn, aber Hauke knurrte bärbeißig wie immer: »Du glaubst doch nicht, daß ich mir die ganze Arbeit für umsonst mache?« Ende Juni war es schließlich soweit. Am ersten Abend war der Laden gesteckt voll. Alles Nachbarn, alles Bekannte. Es ist ein kleinerer, jüngerer Hund aus dem Tierheim, der nun an Haukes Hacken hängt, denn Wandas Lebenszeit ist wenige Wochen vor der Eröffnung abgelaufen. Wer will, mag darin einen Sinn sehen. |