Kreuzberger Chronik
November 2003 - Ausgabe 52

Die Freizeit

Besuch im Lapidarium


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von Hans W. Korfmann

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Im Lapidarium, der Steinesammlung am Halleschen Ufer, liegen keine leichtgewichtigen Diamanten und Brillanten. Dort stehen Kolosse aus Stein. Geschichtsträchtige Statuen, die einst an den Plätzen und Straßen standen, im Tiergarten und entlang der Siegesallee. Vom Lauf der Geschichte überholt, vom sauren Regen angefressen, wurden sie 1978 aus dem Stadtbild entfernt und unter Dach gebracht.

Im ehemaligen Pumpwerk, dem ersten der Stadt, das die Berliner Kloake auf die Felder spülte, wo sie dem Wuchs von Kartoffeln und Getreide zugute kommen sollte, stehen sie einträchtig nebeneinander: die Askanier, die Luxemburger, die Wittelsbacher, und die Hohenzollern. Von den Fehden und innerfamiliären Machtkämpfen hinterließen die Bildhauer keine Spur – alle blicken erhobenen Hauptes in die Ferne, stolz, wie die sechs Meter hohe Figur der Borussia, die bis unter die Decke des Hauses reicht. Die einzigen, die sich etwas absetzen konnten vom dichten Gedränge der unzähligen Grafen und Fürsten, sind König Friedrich Wilhelm III. und Luise. Nicht unbedingt in trauter Zweisamkeit, sondern durch einige Meter voneinander getrennt, blicken sie starr vor sich hin. Auch der eigensinnige Kaiser Wilhelm hat sich von seinen 19 Hohenzollern, die ihm ins alte Pumphaus gefolgt sind, ein Stückchen absetzen können. Etwas einsam und verlassen scheint er dort, so, als fühle er sich nicht wohl in der Gesellschaft all dieser Adligen. Ein Glück nur, daß dieser Bismarck nicht auch noch hier ist!

Könnte er sich ein wenig zur Seite drehen, dann sähe er den Alten Fritz mit seinem napoleonischen Hut und dem frechen Blick. Ihm fehlt ein Arm, den anderen hat er wie üblich hinter dem Rücken angewinkelt. In Stein gehauen gibt der Kleine eine ganz passable Figur ab, schließlich hatten sich die Bildhauer der Siegesallee auf eine gemeinsame Höhe einigen müssen. Lediglich im Leibesumfang durften sie variieren.

Der Fetteste war demnach Kurfürst Joachim II. Nestor, der kopflos ganz am Ende der langen Reihe steht. Deutlich schnürt der Gürtel den fetten Wanst ein. Kurfürst Johann Sigismund zu seiner Rechten ist ebenso fett und gesichtslos, das rauhe Berliner Klima hat ihm Nase und Backen weggeätzt, am besten hielt sich noch das kunstvoll geschnürte Schuhwerk. Auch Friedrich Wilhelm I., »Der Soldatenkönig«, verfügte über eine beträchtliche Leibesfülle, doch fällt er kaum noch auf unter all den anderen Schwergewichtlern in der ersten Reihe.

Den Hohenzollern gegenüber stehen die Askanier, die Wittelsbacher und zwei Luxemburger. Schlanke Krieger mit Schwertern, Schilden und stählernen Helmen. Die meisten von ihnen haben bereits einige Gliedmaßen eingebüßt. Markgraf Otto I. mit seinem lockigen Heldenhaar streckt zwar noch stolz die Brust heraus, doch fehlt ihm schon ein ganzes Bein. Und beinahe allen hat man die Hände abgeschlagen, manchmal auch feinsäuberlich mit einer Säge den ganzen Arm vom Körper getrennt. Nur einer, Graf Ludwig I., hält noch immer tapfer die Bibel in der Hand, obwohl ihm längst schon der Kopf abgefallen ist. Und »Der Faule«, Markgraf Otto von Wittelsbach, hat angesichts all dieser Greueltaten vorsichtshalber schon einmal sein Schwert weggeworfen.

Da stehen sie nun und blicken stolz und stumm im Pumphaus herum: Die Männer der Nation. Frauen sind in der Ahnengalerie kaum vertreten. Lediglich in einer Ecke, hinter dem einsamen Kaiser Wilhelm leistet Königin Auguste-Viktoria der Luise Gesellschaft. Und unter dem Denkmal des Herrn von Goethe, der gleich am Eingang seinen Ehrenplatz gefunden hat, sitzen einige weibliche Wesen und zupfen zu Füßen des Dichtergottes die Harfe. <br>

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