Mai 2003 - Ausgabe 47
Die Reportage
Die Kreuzberger bekommen eine neue Moschee von Michael Unfried Fotos: Michael Hughes |
Damit die Berlinerinnen und Berliner immer auf dem laufenden sind, versorgen Bildschirme wie auf Überseeflügen die unterirdisch Reisenden auch in der U-Bahn mit Werbung, Kulturtips und dem letzten Stand der Dinge. Nach welchen Kriterien die Nachrichtenredaktion der Berliner Verkehrsbetriebe sortiert und zensiert, bleibt ihr Geheimnis. Auf jeden Fall buhlt auch sie mit Sensationsmeldungen um das Interesse der Kundschaft, und deshalb überraschte kürzlich eine verhältnismäßig harmlose Einladung zu einer Informationsveranstaltung in Kreuzberg. Die Meldung lief an dritter Stelle über die Bildschirme der Berliner Verkehrsbetriebe, gleich nach den neuesten Nachrichten aus dem fernen Krieg und dem letzten SARS-Toten im noch ferneren Singapur. Der Stadtteilausschuß Kreuzberg lud am Abend ins mittlere Haus im Görlitzer Park zur Bürgerversammlung. Thema: der Bau einer »dreistöckigen Moschee in Kreuzberg«. Daß sich das lokale Ereignis zwischen die Weltnachrichten schmuggelte, hat nicht allein mit dem Krieg der Christen gegen die Muslime zu tun. Seitdem am legendären 1. Mai 1987 die revoltierenden Demonstranten den Berliner Lebensmittelmarkt Bolle stürmten, plünderten und am Ende komplett niederbrannten – was eine ihrer bislang publikumswirksamsten Aktionen war – schwelt die Diskussion um die Wiederbebauung der Brandbrache. Denn der Berliner Lebensmittelverkäufer schien keine große Lust zu verspüren, die Filiale im linken Herzen Kreuzbergs zu reanimieren. Andererseits aber konnte sich das Konsortium nicht zum Verkauf des Grundstückes entschließen. Nun endlich, nach 16 langen Jahren, aber ist es so weit, und der Käufer scheint durchaus kiezkompatibel: Denn der möchte keinen verpönten Konsumtempel, sondern ein islamisches Gebetshaus an der Kreuzung errichten. Worauf die lokale Berliner Presse sensationslüstern drauflostitelte: »Allah kommt zu Bolle!« oder »Was steckt hinter der Fassade?« Solche Schlagzeilen verfehlen auch im aufgeklärten Kreuzberg ihre Wirkung nicht. »Wir haben«, berichtete am besagten Abend der Sprecher des Stadtteilausschusses zum zahlreich erschienenen Kreuzberger Volk, »derart viele Anfragen zur Errichtung dieser Moschee erhalten, daß wir uns entschlossen haben, diese Informationsveranstaltung durchzuführen.« An der Seite des Stadtteilausschusses saß der Baustadtrat Dr. Schulz, ehemaliger Bürgermeister von Kreuzberg. Ferner der Architekt des geplanten Neubaus, sowie Birol Ucan, ein Mann mit festem Blick, kurz geschnittenem Haar und einer kräftigen Statur. Er verzog während des gesamten Abends keine Miene. Es gab wenig zu lachen für ihn: Er vertrat den »islamischen Verein für wohltätige Zwecke e.V.«, und der wurde ausgiebig beäugt. Denn so multikulturell die Kreuzberger sich auf ihrem Karneval der Kulturen auch geben mögen – wenn es um den neuen Nachbarn geht, dann wird auch der Homo Kreuzbergensis zum skeptisch reservierten Bürger. Die Neugierde darauf, wer dieser islamische Verein nun eigentlich sei, die Sorge um die ohnehin schon zu knappen Parkplätze und natürlich auch die von CNN, CIA und Konsorten geschürte Angst vor dem muslimischen Terror standen den Kreuzbergern ins Gesicht geschrieben. Allein ein einziger Altkreuzberger, ein Mann mit verschmitztem Gesicht und selbstgehäkeltem Käppi auf dem allmählich kahler werdenden Kopf, unterschied sich wohltuend von der skeptischen Masse. Er unterbrach nach alter Studententradition den Sprecher gleich in der Einführungsrede und forderte zuerst einmal eine Gedenkminute: »Wir können nicht über die Errichtung einer Moschee diskutieren und diesen Krieg verschweigen!« Die Schweigeminute fiel aus, der Architekt der Moschee kam zu Wort. Er klärte die Kreuzberger zunächst darüber auf, daß es sich keineswegs um eine dreistöckige Moschee handle, die er an der Ecke der Manteuffel- und der Wiener Straße zu bauen gedächte, sondern um das »Maschari Center«, eine Art Kulturzentrum. Auf der einen Seite des teils siebenstöckigen Gebäudes, dessen Höhe übrigens durch den Bebauungsplan des Bezirksamtes vorgeschrieben sei, lägen Cafés und Restaurants, eine Geschäftszeile, Veranstaltungs- und Schulungsräume. Vier Minarette erhöben sich aus dem Bau, der sich über eine Gesamtfläche von 7000 Quadratmetern erstrecke. Die eigentliche Moschee sei eingeschossig, bestünde aus einem 10 Meter hohen Gebetsraum mit Galerien und befände sich im »rückwärtigen Teil« des Gebäudes. An dieser Stelle wird der zweite Zwischenruf registriert, der jedoch nicht vom Altkreuzberger mit seinem hübschen Käppi, sondern aus der Kreuzberger Mittelschicht kommt: »Zehn Meter! Das ist für mich nicht mehr eingeschossig!« Die Geräuschkulisse, die bislang aus monotonem Gemurmel und geflüsterten Kommentaren bestand, gewinnt an Lautstärke. Doch Dr. Franz Schulz sorgt für Ruhe. Obwohl man doch längst weiß, was Dr. Franz Schulz sagen wird. Er hat sich stets unbeirrt für diese »Kreuzberger Mischung« eingesetzt. Die Moschee, sagt er also auch heute, solle ein Ort des Dialogs werden. Des Dialogs der Kulturen. Es habe zwar schon viele ähnliche Ansätze und Projekte gegeben, und einige, die gescheitert seien, aber er habe die Hoffnung, daß es diesmal gelänge, da sich beide Seiten ausdrücklich zur Kooperation bereit erklärt hätten. Und dann sagt er noch etwas: Er wünsche sich eigentlich schon lange, daß die Moscheen aus den Kreuzberger Hinterhöfen hervorgeholt und ins Straßenbild integriert würden. Nicht allein aus städteplanerischen und symbolischen Gründen. Sondern auch, weil damit mehr Transparenz erreicht werden würde. »Verfassungsschutz!«, ruft jetzt eine Stimme aus dem Volk. »Ob denn der Verfassungsschutz den Verein schon einmal überprüft hätte«. Der Baustadtrat lächelt, seine Verbindungen als langjähriger Grüner zum Verfassungsschutz seien nicht sonderlich ausgeprägt – aber er wisse immerhin, daß besagter Verein bislang nicht in den Akten aufgetaucht sei. »Dieses Haus soll ein offenes Haus werden!«, sagt plötzlich Birol Ucan. Und ebenso plötzlich wird es still im Saal. Der Sprecher des Vereins hat nun das Wort. Mit ernstem Gesicht erklärt er, daß der Verein ein friedvoller und gemäßigter sei, daß er sich gegen jegliche radikale Auslegung des Korans richte, daß im Koran ausdrücklich stehe, daß man seine Gastgeber nicht schlage, bestehle oder töte. Daß der Verein seit 1995 bestehe, daß die Räumlichkeiten in der Skalitzer Straße nicht mehr ausreichten, daß man freitags zum Gebet etwa 250 Menschen erwarte, daß das 10 Millionen teure Gebäude aus Spenden finanziert werden solle, daß man religiöse und kulturelle Veranstaltungen durchführen wolle, daß man durch Deutschunterricht, verschiedene Bildungsangebote und Beratungen des muslimischen Teils der Bevölkerung zur Lösung sozialer Konflikte beitragen wolle. Und daß man wirklich ein offenes Haus plane. »Und Sie wollen die zehn Millionen für den Bau aus Spenden finanzieren? Wieviele Mitglieder hat denn der Verein?« – »Sieben!«, sagt Birol Ucan. Das Gemurmel weicht einem Gelächter. »Eventuell müssen wir Kredite aufnehmen!«, sagt Birol Ucan. Jetzt schnellen viele Finger in die Höhe. Denn das ist ja schon etwas merkwürdig. Wie wollen diese sieben Männer zehn Millionen Euro aus Spenden zusammentragen. Steckt da nicht ein geheimer Geldgeber dahinter? Und was bezweckt dieser Geldgeber? »Der Mann von der CDU bitte!«, sagt der Moderator. »Wo Sie das Geld hernehmen, das ist natürlich schon eine brisante Frage. Aber, ähm -« – Der Altkreuzberger mit der Häkelarbeit auf dem Kopf nutzt die Gelegenheit: »Ich frage ja auch nicht, wo die CDU ihre Kredite herbekommt!« Der CDUler fährt unbeirrt fort: »Aber wenn Sie ein so offenes Haus sind, wie wollen Sie dann kontrollieren, wer da ein- und ausgeht?« – »Kontrollieren ist nicht unsere Aufgabe«, sagt der Sprecher. »Uns geht es um die Integration muslimischer Mitbürger, um die Ausbildung und das Erlernen der deutschen Sprache -« – »Dann sollten Sie erst mal auf Deutsch beten lernen!« »Ich hätte noch eine Frage an den Architekten!« – Ein Kameramann des SFB schwenkt zu dem Mann im braunen Jackett hinüber. »Da wird sich der Herr Architekt aber freuen, daß er nicht ganz umsonst gekommen ist!«, sagt der Moderator. Dem Redner im Jackett sind zehn Meter Moschee noch immer zu hoch. Ob er sich einmal überlegt habe, wie hoch die christlichen Gebetsräume seien, fragt ein anderer Volksvertreter. Die Stimmung im Saal ist trotz des Ernstes der Lage heiter. Sogar der Baustadtrat muß des öfteren lachen. Und als zum Schluß nach langem Fingerstrecken dieser witzige Kunzelmann mit seinem politisch korrekten und selbstgehäkelten Kopfschmuck das letzte Wort erhält, lacht nicht nur der Baustadtrat, sondern auch der Mann von der CDU. »Als 1. Mai 87-Veteran möchte ich Sie fragen, ob Sie schon daran gedacht haben, die Front dieses umstrittenen Gebäudes durch eine Glasfassade zu ersetzen, damit man die verbrannte Backsteinwand im Hintergrund betrachten kann. Ständig stehen da doch die Japaner und Amerikaner und fotografieren und erzählen sich ganz aufgeregt: »Hier hat doch `87 Bolle gebrannt!« <br> |