Kreuzberger Chronik
Mai 2003 - Ausgabe 47

Die Geschäfte

Gold und Silber am Fuße des Kreuzbergs


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von Ina Winkler
Fotos: Michael Hughes


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Sie hat ihr Atelier in jener Straße eröffnet, in der sie früher schon einmal gewohnt hat. Damals, als sie nach Berlin kam, um zu studieren. Irgend etwas, Germanistik, Kunstgeschichte-, irgend etwas eben. Schließlich kam sie aus einer Akademikerfamilie. Dann aber entschied sie sich doch fürs Handwerk. Da setzt man sich am Morgen hin und hat am Abend das fertige Teil vor sich. Da sieht man, was man gemacht hat. In der Wissenschaft lassen die Ergebnisse oft Jahre lang auf sich warten.

Sie hat damals gern in der Kreuzbergstraße gewohnt, und deshalb ist sie auch gern zurückgekommen. Obwohl sie schon ahnte, daß es nicht ganz leicht sein würde, dort hinten ein Atelier zu eröffnen. Denn auch wenn ihre Lieblingsstraße die Verlängerung der Bergmannstraße und mit dem Park und dem Wasserfall und der charmanten Villa Kreuzberg vielleicht noch schöner ist: Die Einkaufsmeile des Kiezes endet am Mehringdamm, und die Kreuzbergstraße ist ein überflüssiger Wurmfortsatz. Um hier zu überleben, mußte sie schon etwas ganz Besonderes machen. Und das macht sie jetzt.

Zuerst hat sie den Boden verlegt, die Wände gestrichen, das Schaufenster dekoriert, sich Regale von Ikea besorgt und sie zu nicht wiederzuerkennenden Schmuckvitrinen umgebaut. Sie hat, weil die Sicherheitsauflagen der Versicherung es verlangten, teure Fenstergitter und einen Tresor einbauen lassen, doch alles übrige hat sie selbst erledigt. Eine Freundin schenkte ihr zur Eröffnung eine winzige Anzeige in einem winzigen Anzeigenblättchen – und das war dann auch so ziemlich alles, was sie in ihr Geschäft investierte. Von nun an sollte es sich alleine über Wasser halten.

Frau Huehnlein
Denn schließlich war das, was sie machte, ziemlich einmalig in Berlin. Und nicht nur in Berlin. Diese uralte und schwierige Emailliertechnik, dieses vorsichtige Brennen unter offener Flamme, das die Farben derart leuchten läßt, beherrscht heute kaum noch jemand. Und tatsächlich bleiben an heißen Sommertagen die Spaziergänger vom Park mit ihrer Eistüte manchmal vor ihrem Fenster stehen und staunen, bis das Eis zu tropfen beginnt.

Aber Spaziergänger sind eben nur im Sommer in der Kreuzbergstraße. Deshalb hat die Goldschmiedemeisterin Stephanie Cosima Hühnlein schon beim Café Einstein angerufen und nachgefragt, ob die nicht vielleicht Interesse daran hätten, in der alten Villa Kreuzberg, die der Bezirk ja nun möglichst bald vermieten möchte, eine Filiale zu eröffnen. Einen besseren Standort für ein Café gibt es womöglich in ganz Kreuzberg nicht, und wenn die Menschenscharen dann allmählich den Weg zu Bus und U-Bahn einschlagen würden, dann kämen sie automatisch am Schaufenster des Ateliers Hühnlein vorbei. Aber selbst das Café Einstein zögert in Zeiten wie diesen mit Investitionen. »Ich hoffe ja nur, daß da jetzt nicht ein Ärztehaus, ein Immobilienmakler oder so ein langweiliges Anwaltsbüro reinkommt!«

Die Goldschmiedekünstlerin Hühnlein weiß eben, was sie will. Sie wollte eine Tochter, also hat sie eine. Sie wollte nach Berlin, also ging sie nach Berlin. Und sie wollte keine Geisteswissenschaftlerin werden, sondern ein Handwerk lernen. Das hat sie gemacht. Drei Jahre Lehre in der Uhlandstraße, vier Jahre Meisterausbildung und am Ende die Prüfung mit Auszeichnung in Pforzheim, dem Zentrum der Goldschmiedekunst. Sie hat Preise für ihre Arbeiten bekommen, sie hat sich ihre eigene Technik erarbeitet. Sie wirkt ein wenig hilflos, wenn sie es sagt, aber sie kann es nicht anders sagen: »Was ich hier mache, ist einfach einmalig. Das macht sonst keiner!«

Diese zartrosa-farbene Korallenkette zum Beispiel, dazwischen drei aus hellgrünem Emaille züngelnde, in Gold gefaßte Flammen. Der Ring mit dem sanft schimmernden Mondstein, oder die Kette mit Kasumiga Perlen aus Kasumiga Ura, oder diese seltene tropfenförmige schwarze Südseeperle am silbernen, handgeflochtenen Band. Und zwischen diesen großen und kostspieligen Kunstwerken überall jene kleinen Ringe, Haarnadeln, Krawattennadeln, Ketten und Anhänger, lauter Kleinode aus schimmerndem Emaille in sanft lockenden und grell bestechenden Farben, gefaßt in edles Metall. Oder die großen, viereckigen Broschen aus strukturiertem Silber, mit einer dünnen ockerfarbenen oder türkis leuchtenden Emaillebeschichtung, die jeder schön findet, aber die sich nur wenige zu tragen trauen. Obwohl sie nicht größer sind als andere Broschen auch. Nur aufsehenerregender. Nur wegen der leuchtenden Farben.

Schmuckdekoration
Sie müßte, sagen Freunde und Bekannte, mit ihren Arbeiten endlich an die Öffentlichkeit gehen. Aber Stephanie Cosima Hühnlein zögert. Sie könne »nicht so breitbeinig auftreten« wie ihre männlichen Kollegen. Zwar stoßen ihre Arbeiten bei den Ausstellungen, an denen sie teilnimmt, immer auf großes Interesse unter den Goldschmieden. Aber wenn sie sich einmal auf die Suche nach einer Galerie macht, und »dann sitzt diese Dame da am Telefon und sagt, sie telefoniere gerade mit der Presse, sie habe jetzt leider keine Zeit!«, und Frau Hühnlein solle doch ein anderes Mal wiederkommen, dann kommt Frau Hühnlein eben gar nicht mehr. Dann reicht ihr das wieder mal für ein halbes Jahr, auch wenn sie weiß, daß diese Dame am Telefon, die nichts anderes mitgebracht hat als genügend Geld, um sich irgendwo im Prenzlberg eine Galerie zu leisten, von Schmuck und Emaillearbeiten nicht die geringste Ahnung hat.

»Ich bin eben«, sagt sie, »eine furchtbar schlechte Geschäftsfrau! Ich lerne das nie!« Doch immerhin hat die schlechte Geschäftsfrau auch das furchterregende Jahr 2002 ohne Verluste überstanden. Vielleicht braucht sie ja gar nicht zur Geschäftsfrau zu werden. Vielleicht reicht es ja wirklich, eine gute Goldschmiedin mit außergewöhnlichen Ideen zu sein.
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