Kreuzberger Chronik
März 2003 - Ausgabe 45

Die Geschichte

Die Bibliothek zum Gedenken Amerikas


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von Werner von Westhafen

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Nach dem 2. Weltkrieg lag der Blücherplatz brach. Lediglich eine schmale, einstöckige Ladenkolonie hatte man mit den Steinen der Trümmerfrauen auf dem Platz errichtet. Weder ein krönender Abschluß der berühmten Friedrichstraße, noch dem Namen des ungestümen Generals Blücher gerecht werdend, dem Napoleon den Untergang bei Waterloo und die Deutschen ihren bislang wohl größten Kriegserfolg zu verdanken haben. Weshalb die Berliner seit dem Ende des Krieges nach einem geeigneten Objekt fahndeten, das man auf diesen Platz stellen könnte. Ein Monument sollte es sein, weithin sichtbar, bis tief in den Osten.

Eine ganze Weile dachte man daran, das Kreuzberger Rathaus auf diesem Platz zu errichten. Doch es fehlte, damals wie heute, das Geld zu verschwenderischen Prestigebauten. Und da kam ihnen die Spendierfreudigkeit ihres neuen Freundes, des Amerikaners, gerade recht. 5 Millionen Deutsche Nachkriegsmark wollte der Chef der amerikanischen Militärregierung, John Mcloy, aus dem 50 Millionen Deutsch Marks schweren Topf des »Special Projects Fund of the U. S. High Commissioner« der Stadt Berlin für einen kulturellen Zweck zur Verfügung stellen. Mit dieser freundlichen Geste präsentierte sich der Nachfolger des berühmten und beliebten Luftbrückengenerals Lucius D. Clay, der nach der Aufhebung der Blockade von seinen Ämtern zurückgetreten war, den Berlinern. Mit der noblen Spende, die seiner Bewunderung für die standhafte Haltung der Berliner während der elfmonatigen Blockade Ausdruck verleihen sollte, gelang es auch Hochkommissar John Mcloy, sich der Sympathie der Bevölkerung zu versichern. Zuerst dachte man an eine Konzerthalle, ein Museum, eine Schule. Am 25. Juni 1950 aber einigte sich das deutsch-amerikanischen Komitee, dem auch der spätere Berliner Bürgermeister Ernst Reuter angehörte, zum Bau einer öffentlichen Bibliothek nach dem Vorbild der amerikanischen »Public Library«. Zwar gab es auch in Deutschland seit der Jahrhundertwende die Einrichtung öffentlicher und für jeden Bürger zugänglicher Bibliotheken, schon 1907 eröffnete die Berliner Stadtbibliothek mit 88000 Bänden in ihren Regalen, (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 24) doch sollten bei der Gestaltung dieser Bücherei »gewisse Erfahrungen berücksichtigt werden, die wir in Amerika bei der Anpassung des Bibliothekswesens an die Erfordernisse unserer Zeit und des hastenden Menschen unserer Tage gemacht haben. Nicht, daß wir uns anmaßen, Europa auf dem Gebiet des Bibliothekswesens belehren zu wollen -«, betonten die Amerikaner noch in der Eröffnungsrede am 17. September 1954, aber auf das Mitspracherecht und eine gewisse Entscheidungsbefugnis wollten sie keinesfalls verzichten.

De facto geschah nichts ohne den Segen der Amerikaner, sie saßen in allen Entscheidungsgremien, begleiteten das Projekt von der Planung bis zur Eröffnung. Doch im neuen Bürgermeister Reuter fanden die Amerikaner einen geduldigen Gesprächspartner, er sicherte ihnen unumwunden und schriftlich zu: »Der endgültige architektonische Entwurf muß von dem Büro des Amerikanischen Hohen Kommissars nach Beratung mit amerikanischen Architekten gebildet werden.« Allerdings bestand Reuter darauf, daß die Bibliothek von einem deutschen, und nicht von einem amerikanischen Architekten gebaut würde.

Fast 200 Entwürfe für die noch namenlose Bibliothek gingen während des Jahres 1951 beim Senat ein. Die Amerikaner aber konnte keiner der deutschen Architekten zufriedenstellen, obwohl nicht wenige interessante Vorschläge namhafter Baukünstler unter den Bewerbungen waren: Den Amerikanern waren sie alle zu wenig amerikanisch. Also einigte man sich auf einen Kompromiß. Eine deutsche Architektengemeinschaft sollte die Planung übernehmen, amerikanische Experten jedoch beratend zur Seite stehen. Schon im Januar 1952 präsentierten diese Architekten dann das Modell der neuen Bibliothek: Sie hatte eine äußere Gestalt vornehmlich deutscher Prägung, während ihr funktionales Innenleben deutlich an die Public Library in Detroit erinnerte. Insbesondere der ebenerdige Lesesaal, das Magazin im Keller, die Auskunftspulte mit Buchaufzug und Rohrpost – »jedes gewünschte Buch sollte in fünf Minuten zur Stelle sein« –, waren die amerikanischen Akzente. Und alle schienen mit dem Ergebnis der Zusammenarbeit zufrieden zu sein, der Grundsteinlegung am 29. Juni 1952 stand nichts mehr im Wege.

Gedenkbibliothek
Eröffnung der AGB am 17. September 1954. Foto: Archiv AGB

Zehntausende Berliner erschienen, um ihren Bürgermeister und ihren Hochkommissar Mcloy zu sehen. Auch der amerikanische Außenminister bestieg das Podium und sprach, während er den Blick in den Ostteil der Stadt schweifen ließ, vom festen Willen Amerikas, zur Sicherung der Freiheit in Berlin zu bleiben. Er sprach vom »Fortbestand Berlins als Vorposten der freien Welt« und von der »Bedeutung Berlins als eines der großen geistigen Widerstandszentren gegen die Unfreiheit. (-) Möge dieses Haus ein dauerhaftes Symbol für dauerhafte Freiheit bleiben«.

Allerdings dachten die Amerikaner nicht daran, nur ihren geliebten Berlinern oder gar dem Phantom der Freiheit ein Denkmal zu setzen. Nein, irgendwie mußten sie da auch mit aufs große Bildnis. Und deshalb tauften sie das Denkmal auf den Namen: »American Memorial Library«. Allerdings sprachen die Berliner, kaum hatte man mit dem Bau begonnen, zuerst einmal von der »Amerikanischen Gedächtnisbibliothek«, später von der »Zentralbibliothek«, die scheinbar nichts mehr mit Amerika zu tun hatte. So kam es, daß die gewaltigen Lettern auf dem Dach des Hauses auch die Ostberliner am Bahnhof Friedrichstraße unmißverständlich daran erinnerten, wem sie zu gedenken hatten, wenn sie ihren Namen lasen, denn da stand stolz: »Amerika Gedenkbibliothek«. Heute heißt sie schlicht und kurz: Die AGB. Und auf dem Dach ist nur noch die »Gedenkbibliothek« geblieben.

Doch die Berliner liebten ihre Bibliothek. Sie kamen zu Tausenden, aus dem Osten und dem Westen. 2850 Bücher wurden am ersten Tag ausgeliehen. Heute sind es beinahe 9100 Ausleihen täglich, und im Jahr 2002 registrierte man 1,4 Mio. Besucher. Nach und nach wurde die »Diskothek« eingerichtet, die Kinderbücherei, Lesungen und Konzerte fanden statt. Im Sommer 1961 aber konnten die Leser aus dem Osten ihre Bücher nicht mehr zurückbringen: Die Mauer war gebaut. Im März 1969 gedachte die »Stadtguerilla« mit einem Brandanschlag der Gedenkbibliothek, und im September 1989 kamen einige Bücher zurück, deren Leihfrist um 27 Jahre überzogen war. Von den pflichtbewußten Lesern aus dem Ostteil der Stadt.
»Gegründet in einer Zeit«, ließ Ernst Reuter in den Grundstein meißeln, »da das Volk von Berlin in dem freien Teil seiner Stadt trotz schwerer Prüfungen standhaft und unbeirrt sein Recht auf Freiheit und Selbstständigkeit verteidigt, wird dieses Bauwerk den Lebenden und künftigen Geschlechtern als ein Mahn – und Erinnerungsmal an die unbesiegbaren Kräfte des freien Geistes und der sittlichen Pflicht gelten.«
Es ist, ein halbes Jahrhundert später, etwas anders gekommen: Nicht das Bauwerk, nicht seine Geschichte, nicht der symbolische Akt mahnen uns zur Umsicht. Eher schon stimmt uns heute, da die Amerikaner einmal mehr in den Krieg ziehen, dieser merkwürdige, einst so stolz und selbstbewußt verkündete Name des Gebäudes nachdenklich. <br>

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