Juni 2003 - Ausgabe 48
Strassen, Häuser, Höfe
Käte Niederkirchner von Werner von Westhafen |
Es ist nur wenig über Käte Niederkirchner geschrieben worden, in den Bibliotheken sucht man meistens vergeblich. Die Deutsche Demokratische Republik aber setzte Käte, Käthe oder Katja Niederkirchner, der Heldin des antifaschistischen Widerstandes, ein Denkmal, indem sie ihren Namen auf ein Straßenschild schrieb. Einer mustergültigen Heldin, die Zeit ihres kurzen Lebens allerdings kaum auf sich aufmerksam machte. Sie hatte es nie leicht, die Familie Niederkirchner, im fremden Land. Auch in Deutschland war das Leben nicht so schön, wie es sich die Wirtschaftsflüchtlinge aus dem ärmlichen Vorort von Budapest ausgemalt hatten. Auch die Gewerkschaften, von denen sie so viel gehört und sich so viel versprochen hatten, konnten das Los der Arbeiter nicht verbessern, immer wieder war der Rohrleger Niederkirchner ohne Arbeit. Den Einberufungsbefehl bekam er aus Ungarn, der Vater sollte für die österreichisch-ungarische Armee in den 1. Weltkrieg ziehen. Die fünfjährige Käte blieb mit fünf Geschwistern und der Mutter in Berlin zurück. Sie war damals gerade fünf Jahre alt. Die Zeit, die der Vater in russischer Gefangenschaft verbrachte, machte einen überzeugten Sozialisten aus ihm. Nach seiner Rückkehr engagierte sich der Rohrleger leidenschaftlich in der Gewerkschaft, trat der KPD bei, und auch Käte verbrachte ihre Freizeit in der Kommunistischen Kindergruppe. Als eines Tages ein Arbeiter, der auf einem öffentlichen Gebäude eine rote Fahne gehißt hatte, erschossen wurde, verteilte die kleine Käte Handzettel der KPD. Später, bereits im kommunistischen Jugendverband, klebte sie Plakate an die Häuserwände: »Straße frei am 1. Mai! Arbeitsruhe in allen Betrieben! Trotzt allen Verboten«. Ein Freund, Herbert, der sich als Kohlenträger durchschlug, wurde gefaßt und verhaftet – tagelang hörte sie nichts von ihm. Herbert war ihre erste Liebe. Vielleicht war er ihre einzige. Die Quellen schweigen darüber. Dann erschien im Vorwärts ein Artikel, in dem der Vater als Wortführer des »Rohrlegerstreiks« bezeichnet wurde. Eines Abends warteten drei Polizisten auf ihn. Einer von ihnen war ein ehemaliger Schulkamerad Kätes. Doch der Keil der Nazipropaganda hatte längst auch die einstige Gemeinschaft der Schüler in zwei Lager gespalten. Käte konnte nichts ausrichten: Der Vater wurde verhaftet, und erst als der Streik gebrochen war, wieder freigelassen. So wächst allmählich die Wut in Käte Niederkirchner. Auf einer Versammlung der NSDAP hält Käte – inzwischen volljähriges Mitglied der KPD – eine mutige Rede gegen die Scheinheiligkeit der Nationalsozialisten. Es kommt zur Prügelei. Schon bei der nächsten Versammlung wird sie verhaftet. Man droht mit der Ausweisung, und als in der Nacht des 27. Februar 1933 der Reichstag brennt und der Vater abermals verhaftet wird, beginnt man sich in der Partei Sorgen zu machen um die Familie Niederkirchner. Drei Tage später beschließt die KPD, Käte nach Rußland in Sicherheit zu bringen. In Moskau arbeitet sie als Schneiderin, besucht die Universität. Schön war das Leben auch dort nicht immer, und obwohl Käte eine glühende Sozialistin geworden ist, scheint sie manchmal unter Heimweh zu leiden: »1 Bett ist mein eigen und sonst nichts. Beschäftigt bin ich von früh bis spät. Elektrisches Licht gibt es selten, Lampen haben wir uns selber aus Konservenbüchsen gemacht, die natürlich unsere Stube vollqualmen.« Der Gruß an die Mutter endet mit dem Wunsch, den nächsten Geburtstag »in Berlin zusammen« zu feiern, »ja?«. Als die Deutschen Rußland überfallen, meldet sie sich an die Front. Sie möchte die Heimat, und sei es mit Gewalt, zurückerobern. Doch sie darf nicht. Sie soll stattdessen in den deutschsprachigen Sendungen Radio Moskaus die gefangenen Nazis vom Sozialismus überzeugen. Sie sucht die Gefangenenlager auf und schreibt in ihr Tagebuch: »Ihre Köpfe sind verwirrt von der Nazipropaganda. Junge Menschen, aus denen noch etwas Tüchtiges hätte werden können, erklären allen Ernstes, daß sie für eine gute Sache gekämpft hätten.« Über das Radio spricht sie mit ihnen: »Deutscher Soldat, deutscher Arbeiter, deutsche Frau! Wie oft hast Du Dir schon die Frage gestellt: Wann und wie wird der Krieg beendet werden? Vier Jahre sind vergangen, und noch immer verbluten Väter und Söhne, noch immer werden täglich Tausende zu Krüppeln geschossen.« Und sie erinnert an die Daheimgebliebenen, an Mütter, die ihre Kinder nicht satt bekommen, Krankheit und Armut. Sie spricht aus eigener Erfahrung und endet mit den Worten: »Stürzt Hitler und sein faschistisches System! Erst dann wird Deutschland wieder Deutschland sein!« Käte Niederkirchner hat nie aufgehört, von einem fernen Land zu träumen: einem friedlichen, gewaltlosen Deutschland. Wenige Tage nach ihrer Rede besteigt sie tatsächlich ein Flugzeug, das Kurs auf die Heimat nimmt. Sie soll, als »Beauftragte des ZK der KPD«, nach Berlin reisen. Sie hat den Auftrag, »den illegalen Organisationen der KPD die Beschlüsse und Direktiven des ZK der KPD zu übermitteln und den antifaschistischen Widerstandskampf anzuleiten und zu unterstützen.« Sechsmal startet die Maschine vergeblich, erst in der siebten Nacht sehen die Piloten das Signal über der Lichtung. Käte springt, aber ihr Fallschirm bleibt in einem Baum hängen. Am Morgen findet man die erschöpfte Frau. Noch am selben Tag wandert sie 25 Kilometer durch den Wald zum Bahnhof nach Kostiza und besteigt den Zug nach Berlin. An der Grenze endet die Heimreise. Die Papiere »Käte Beckers« erscheinen den Militärs verdächtig, es fehlt ein Stempel, der wenige Tage zuvor eingeführt worden war. Käte kehrt in ihre Heimat zurück, in den Händen der SS. Sie verbringt Monate in Einzelhaft, man versucht, ihre wahre Identität herauszufinden. Käte schweigt. Es gelingt ihnen erst, als jemand sie wiedererkennt. Man bringt sie ins Lager nach Ravensbrück. In der Nacht vom 27. auf den 28. September 1944, fast ein Jahr nach ihrem Absprung über der polnischen Lichtung, wird die Fünfunddreißigjährige erschossen. Wenige Monate vor der Befreiung. Eine Mitgefangene trifft sie zuvor im Bunker, der letzten Station der zum Tode Verurteilten. »Sie war abgemagert, am linken Fußknöchel trug sie einen notdürftigen Verband aus Kreppapier, schleppte das linke Bein nach und hielt sich an der Wand fest. Wir erkannten uns, wechselten aber kein Wort, weil wir von Aufseherinnen begleitet wurden. Ich sah Katja nie wieder und hörte auch nichts mehr von ihr.« Doch durfte sie noch drei kleine Nachrichten an ihre Mitgefangenen abschicken, in der letzten schrieb sie: »Heute kam der Schutzhaftführer, er hat mir das Urteil vorgelesen, in einer so höhnischen, gemeinen, dreckigen Art, diese Bestie! Sie sind ja das Morden gewohnt und haben eine besondere Freude, sich an den Qualen ihrer Opfer zu weiden.« Und dann: »Ich hätte so gerne die neue Zeit noch erlebt. Es ist so schwer, kurz vorher gehen zu müssen. Grüßt alle, Hilde, Maria, Sterndl, Mimi, Hermi …« <br> |