Juni 2003 - Ausgabe 48
Der Kommentar
Kampf um die Straße von Hans W. Korfmann |
Es ist schon immer so gewesen: Hat irgendwo auf der Welt eine Revolution, ein Putsch – mit einem Wort: ein Machtwechsel – stattgefunden, dann taten die Regierenden stets das Gleiche: Sie begannen unverzüglich mit der Umbenennung von Plätzen und Straßen, der Demontage von Denkmälern und der Tilgung der Vergangenheit aus dem kollektiven Gedächtnis. Der Grund für diese Expreßreinigungen lag nie nur in der Tatsache, daß den Helden von gestern der ideologische Sockel abhanden gekommen war. Die rasante Eliminierung geschichtsträchtiger Namen aus dem Straßenbild erfolgte stets aufgrund der lauernden Gefahr, die von der gerade entmachteten Regierung und ihren noch zahlreichen Anhängern ausging. Wie oft folgte auf den Putsch der Gegenputsch, auf den Sieg der Fortschrittlichen der Sieg der Konservativen! Auch 1989, nach dem Fall der Mauer, verhielt man sich nach altbewährtem Muster. Die baldige Umbenennung der Berliner Straßen und U-Bahnhöfe im Ostteil der Stadt machte deutlich, daß die Ereignisse, die weltweit als friedliche Wiedervereinigung und Wende verkauft wurden, so ganz friedlich nicht waren. Sondern daß der Westen den Anspruch des Siegers stellte und sich wie ein Eroberer benahm, kaum anders als die Spanier und die Engländer, die jedwedem auch noch so unbedeutenden Eiland die Fahne, den Namen und den ideologischen Stempel aufdrückten. Warum, fragt man sich, müssen Millionen von Bürgern neue Straßennamen lernen und von Steuergeldern bezahlen? Warum läßt man sie nicht stehen, die steinernen Zeitzeugen eines unauslöschbaren Kapitels deutscher Geschichte, die Leninköpfe und die Marxbüsten? Macht nicht der Lauf der Zeit und das wachsende Verständnis der Geschichte ohnehin irgendwann aus zweifelhaften Denkmälern Mahnmale? Man muß kein ehemaliger DDR-Bewohner sein, um in Erstaunen zu geraten, wenn 1993 in Berlin eigens eine sogenannte »unabhängige Kommission« ins Leben gerufen wurde – bestehend aus vorwiegend alten Bürgern der Bundesrepublik – um unter anderem die Namen Clara Zetkin, Wilhelm Pieck oder Karl Liebknecht aus dem Straßenbild zu entfernen. Bei Käte Niederkirchner geriet der Bundestag sogar in Rage. Es dürfe, argumentierte die Präsidentin des Abgeordnetenhauses Hanna-Renate Laurien, nicht an eine Frau erinnert werden, die für den Sozialismus gekämpft habe. Es gäbe zu viele, die unter diesem System gelitten hätten. Stattdessen solle die Straße »Preußischer Landtag« heißen und uns »Preußen in Erinnerung bringen, dem wir unseren Bestand letztendlich verdanken«. Als von der Zugehörigkeit Käte Niederkirchners zur KPD die Rede war, erschallten im Bundestag – laut amtlichem Protokoll – von den Rängen der CDU und der FDP laute »Pfuirufe«, Beifall dagegen bei der Erwähnung ihrer Verhaftung! Und der christdemokratische Umweltminister Töpfer konkretisierte: »Wir werden es nicht zulassen, daß dieser alte Mief, der von Ihren Straßennamen ausgeht, weiter in Berlin stinkt!« Trotz all der verbalen Attacken durfte Käte Niederkirchner auf dem Straßenschild verbleiben – 106 Abgeordnete stimmten für, 96 gegen sie. Nur ein Haus in der Straße weigerte sich erfolgreich, Niederkirchners Namen zu tragen: Die Postadresse des Berliner Parlamentes lautet bis heute »Preußischer Landtag«. Merkwürdig, wenn ausgerechnet demokratisch gewählte Politiker sich weigern, das Ergebnis einer Abstimmung zu akzeptieren. Und Reden gegen die Diktatur des Sozialismus führen, um am Ende selbst gegen die Regeln der Demokratie zu verstoßen. So wird am Beispiel Niederkirchner deutlich, was wir von diesen gewählten Damen und Herren zu halten haben: Nichts! <br> |