Juni 2003 - Ausgabe 48
Die Geschichte
Das Prinz-Albrecht-Palais von Armin Dahl |
Die Geschichte des Palais beginnt wie im Märchen: Es kam einmal ein reicher Edelmann zum König. Er hatte vier wunderschöne Töchter, außerdem gefiel dem König die Weltläufigkeit des aus Frankreich kommenden Sohnes eines Seidenhändlers. Im Grunde nämlich langweilte sich der König, Berlin war ihm schon immer zu provinziell gewesen, und seit längerer Zeit spielte er mit dem Gedanken, der Hauptstadt seines Reiches ein vornehmeres Aussehen zu verschaffen. Dazu kam ihm ein wohlhabender Franzose gerade recht. Friedrich Wilhelm I. empfing also den Baron Francois Mathieu Vernezobre des Laurieux mit offenen Armen in der Stadt und bemühte sich, dessen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten, indem er ihn schon bald in den Freiherrenstand erhob und zum Geheimrat machte. Um ihn für immer an Berlin zu binden, versuchte der Regent, einen seiner Offiziere mit einer Tochter des Barons zu verkuppeln. Ohnehin achtete der König stets auf vorteilhafte Bündnisse seiner Vertrauten und Offi-ziere, und für seinen »Capitaine de Forcade« schien die reizende Tochter des Franzosen genau die richtige zu sein. Doch die Tochter des Barons sah das anders. Sie zeigte »nicht die geringste Neigung für denselben«, was sowohl den Capitaine als auch den König sehr betrübte. Der König allerdings gab die Hoffnung so schnell nicht auf und hoffte auf eine »würdige Entschließung« der hübschen Tochter. Um den Druck auf den befreundeten Baron zu erhöhen, erteilte er ihm Hausverbot, und der gute Freund konnte fortan nur noch über Mittelsmänner mit seinem Friedrich Wilhelm kommunizieren. Den Regierungsberatern des Königs jedoch waren die Tochter des Barons, die Leiden des verliebten Offiziers und die gekränkte Eitelkeit des Königs, dem man einen Wunsch abgeschlagen hatte, ziemlich gleichgültig. Ihnen ging es um das Wohl Preußens, die Hauptstadt sollte endlich einen »Residenzcharakter« erhalten. Besonders lange schon störten sie sich an den Sümpfen am südlichen Ende der Friedrichstadt. Darum vereinbarte man: Der Baron solle seine Tochter behalten, wenn er am Ende der Friedrichstadt ein stattliches Palais erbaue. Also baute der Baron sein Haus im Sumpf, seine neuen Nachbarn waren Schlächter und Victualienhändler, auf dem anschließenden Grundstück weidete ein Rentier. Ganz glücklich ist der Baron wohl nicht geworden, das Haus soll eher einer Festung als einem Schloß geglichen haben, und zehn Jahre später starb der Baron, im zarten Alter von 58 Jahren. Er hinterließ seine vier Töchter, zwei Söhne, das Haus und eine halbe Million Taler, von denen die Kinder rauschende Feste gefeiert haben sollen. Das Glück währte einige Jahre, dann waren die Taschen des ältesten Sohnes des Seidenhändlers leer. 1760 endlich konnte er das prächtigste Privathaus der Stadt zum Schnäppchenpreis von 16000 Talern an einen Bankier verkaufen. Auch dessen Geschäfte gingen schlecht, der nächste Bankier versuchte sein Glück, und innerhalb von elf Jahren wechselte das Haus vier mal den Besitzer. Prinzessin Anna Amalia, die letzte Käuferin, bewohnte das »Amaliesche Palais« immerhin 15 Jahre lang und machte es zum »Sammelplatz für alle damaligen Notabilitäten in Kunst und Wissenschaft«. Doch dann wechselten oder starben die Erben und Mieter in gewohnt rasanter Folge, bis im Oktober 1806 wieder ein Franzose Berlin besuchte: Napoleon. Er machte aus Friedrich Wilhelms Traum vom Schloß am Stadtrand eine »Feldpost«. Nachdem die Franzosen wieder fort waren, erlebte die Villa eine bunte Zeit. Maler und Musiker zogen ein, ein Restaurierungsatelier wurde eingerichtet, ein Fabrikant nutzte einige Säle als Lagerraum für seine Baumwolle, ein Prediger namens Jänicke vollzog im Souterrain die Armenspeisung, und im Sommer wurde das Haus zur Badeanstalt für die Zöglinge der Luisenstiftung. Ein Kammermusiker blies bei offenen Türen die Tuba, seine Töchter gaben lustige Gesellschaften im Garten »und warfen den Offizieren, die auf den Gartenmauern saßen, Grüße und Küßchen zu«. In einem Bericht aus dem Jahr 1827 heißt es, daß »in ganz Berlin schwerlich Schandhafteres zu finden sein wird« als das Palais. 1830 aber erbarmte sich endlich Prinz Friedrich Heinrich Albrecht, der jüngste Sohn Friedrich Wilhelms III., des heruntergekommenen Hauses und beauftragte den Stararchitekten Schinkel mit dem Umbau der Villa zum Palast. Kosten: 356000 Taler. Im Erdgeschoß wohnte das frischvermählte Paar, im ersten Stock befanden sich die Gesellschaftsräume und zwei Säle mit jeweils 100 Quadratmetern, Büffetraum und Musiklogen, während sich im 2. Stockwerk 25 Zimmer für die Bediensteten, ein Raum für Silber und Besteck und der große Billardsaal befanden. Der berühmteste Gartenbauarchitekt Berlins, Peter Joseph Lenné, gestaltete den Garten im englischen Stil mit Springbrunnen und einem Hauch von Exotik zu einer Parkanlage. Eine Reithalle wurde errichtet, und im Winter 1837/ 38 legte der Prinz im öffentlichen Teil des Gartens eine »Eisbahn« an, die sich großer Popularität erfreute. »Selbst die Damen schließen sich nicht aus und finden daran großes Behagen.« Doch auch Prinz Albrecht brachte das Haus letztlich kein Glück. Seine Ehe mit der geliebten Prinzessin Marianne der Niederlande wurde geschieden, die Freude am schönen Palais war dahin, und Albrecht ward kaum mehr gesehen. Auch sein Sohn, ebenfalls Albrecht, wohnte nur selten im herrschaftlichen Palais. Inzwischen aber war die Sumpflandschaft Friedrich Wilhelm I. tatsächlich ein urbanes Zentrum geworden, der Potsdamer und der Anhalter Bahnhof waren gebaut, auf dem Weg zum Halleschen Tor weideten längst keine Rentiere mehr. Teile des Parks wurden an die Stadt verkauft und wichen neuen Straßen, 1925 begann man mit dem Bau des Europahauses, Schinkels kunstvolle Reithalle und die Stallungen wurden wieder abgerissen. Die Geschichte des Prinz-Albrecht-Palais, die so schön begann wie im Märchen, endete 1934 mit dem Einzug der Nazis. 1944 ist das Haus des französischen Barons eine ausgebombte Ruine, doch der Säulengang und die kunstvollen Außenseiten des Palais stehen noch. Dennoch werden im Mai 1949 auch diese noch erhaltenen Relikte gesprengt. 1961 überließen die Erben des Königsgeschlechtes die entstandene Brache der Stadt Berlin, die sie an »Straps-Harry« vermietete, den Intendanten eines Travestie-Theaters, der auf dem Gelände der ehemaligen Parkanlage das »Autodrom« errichtete: Ein eintrittspflichtiger Parcours kleiner geteerter Straßen zum Autofahren ohne Führerschein. Und heute ragt eine Bauruine aus dem Gras – die ersten Pfeiler einer Gedenkstätte, die weder an Wilhelm I., noch an den Baron und all jene anderen skurrilen Gestalten erinnern wird, die das Palais 200 Jahre lang bewohnten. <br> |