Juli / August 2003 - Ausgabe 49
Die Reportage
Grillen im Park von Hans W. Korfmann |
Es wurde also wieder Sommer. Auch auf dem Kreuzberg. Sogar der Wasserfall rauscht wieder, vor dem Tiergehege betrachten Mütter und Kinder den restlichen Viehbestand, Bälle fliegen durch die Lüfte, Gitarren erklingen und die Kreuzberger Buschtrommeln. Eine Idylle, die den Sender Freies Berlin zu einem kurzen Beitrag inspirierte, und angetan von so viel urbanem Leben sprach die Redakteurin voller Entzückung: »Ja, und da wird auch schon wieder der erste Grill angezündet …« Doch was da erst zaghaft und schamrosig zu glühen begann, hatte Michael Jürgens bereits zur Weißglut gebracht. Er griff empört zum Hörer, ließ sich zur Redaktion durchstellen und gab nicht auf, bis man ihm versicherte, daß die Autorin sich bei ihm melden würde. Aber »es kam natürlich nichts!«So geht es ihm öfter. Egal, an wen er sich mit seiner Beschwerde über das »Grillunwesen« im Park vor seiner Haustür wendet, an die Bezirksverordnetenversammlung, an den Berliner Mieterverein, an den Herrn Schädel vom Grünflächenamt Kreuzberg, an den Baustadtrat Dr. Schulz, an das Landesdenkmalamt oder an die Redaktionen verschiedener Zeitungen: Alle hören sich sein Klagelied eine Weile an, sie lesen die vielen Seiten seiner Beschwerdebriefe und zeigen stets viel Verständnis für den Unmut des Mitbürgers, doch Antworten auf seine Fragen oder gar Reaktionen auf seine dringende Bitte, die Rauchschwaden im Park endgültig zu ersticken, blieben aus. Im Gegenteil: Seit Anfang Mai weisen nun sogar einige Tafeln am Wegesrand einen Teil des Viktoriaparks ganz offiziell als »Grillplatz« aus. Herr Jürgens traute seinen Augen nicht und erkundigte sich bei den Bezirksverordneten, was es mit »diesem Humbug« auf sich habe. Ob man tatsächlich glaube, daß die mit vollbeladenen Pkws anreisenden Grillfreunde ihre Siebzigsachen wieder zusammenpacken und weiterziehen würden, wenn der Grillplatz so überfüllt sei wie das Prinzenbad bei 40 Grad. Ob man da nicht den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben versuche. Aber ein Sprecher der BVV mußte Herrn Jürgens bestätigen: Laut einem Beschluß vom Frühjahr 2003 wird im Viktoriapark ein sogenannter Modellversuch durchgeführt. Der öffentliche Grillplatz sei eingerichtet worden, um der steigenden Nachfrage in der Bevölkerung nach dem duftenden Fleisch über der Feuerstelle nachzukommen. Ende des Sommers soll dann darüber befunden werden, ob das Grillen im Park erlaubt bleibt, oder ob die »Nebenwirkungen« des juristischen Eingriffs unverantwortlich seien. Seitdem kämpft Herr Jürgens unermüdlich darum, das drohende Unheil noch einmal abzuwenden. Er möchte »schwere Geschütze auffahren«, der »Minderheit der Freunde karzinogener Bruzzelschwaden« den Kampf ansagen, Massen mobilisieren und »deutlich sichtbare (und lesbare) Verbote auf Deutsch und Türkisch – notfalls mit Konsequenzen!« Früher zählte er noch die einzelnen Feuer am Abend, fotografierte den Müll neben den Papierkörben, bis nachts um drei Uhr lag er auf der Lauer, und er stieg eigenfüßig die Treppen seines Hauses in der Kreuzbergstraße hinunter und bat seine Mitbürger »höflich« darum, das Grillen einzustellen. Als er nur patzige Antworten bekam, rief er die Polizei auf den Plan. Aber auch die verhielt sich äußerst zurückhaltend. »Ich dachte, die Volksvertreter sind dem Wohl aller Bürger verpflichtet und hätten es nicht nötig, einer Minderheit rücksichtsloser Zeitgenossen zu gefallen«, schreibt Jürgens in einem seiner Beschwerdebriefe. Hätte er diesen Brief an Michael Wegner von der CDU geschickt, dann hätte er vielleicht eine Antwort bekommen. Denn ganz allein steht Herr Jürgens nicht auf der schmalen und umstrittenen Flur, auch die Herren von der CDU vergreifen sich gern einmal im Ton, wie kürzlich Herr Wegner. »Es geht mir darum, eine Minderheit von Dreckschweinen zu diszi-plinieren.« Der Lokalpolitiker hat jedoch weniger die Rauchschwaden im Auge als vielmehr die Müllberge, die in den Parkanlagen nach sonnigen Wochenenden zurückbleiben. Ganz offensichtlich muß Herr Wegner einmal in Singapur gewesen sein, jedenfalls denkt er an Geldbußen wie in der blitzblanken asiatischen Metropole: 200 Euro der Kaugummi auf der Straße, 300 Euro die Zigarettenkippe. Auch im Central Park in New York kostet die Umgestaltung des öffentlichen Naherholungsgebietes zur Mülldeponie den sündigen Bürger zwischen 50 und 250 Dollar. Das sind Maßnahmen! Doch wer soll ein Auge auf die Sünder werfen, bei einer von Jürgens beschriebenen Sichtweite von nur noch wenigen Metern? Und vor allem: Wer soll die Parkwächter bezahlen? 70 ABM-Kräfte, bezahlt von Bund und Land, sind täglich unterwegs, um Parkanlagen vom Schmutz zu befreien. An den Wochenenden allerdings möchten auch die Müllsammler offensichtlich lieber irgendwo picknicken als Müll sammeln. Das Wochenende ist den Deutschen nun einmal heilig. Deshalb denkt Baustadtrat Schulz bereits daran, private Firmen mit der Sauberhaltung der Parkanlagen zu beauftragen. Denn so tolerant der grüne Politiker auch sonst gegenüber seinen ausländischen Mitbürgern ist: »Es wird immer schlimmer«, und der Druck seitens der Anrainer größer. Die Unterschriftenliste der Kreuzberger gegen die Grillerlaubnis ist bereits 150 Namen lang, und Schulz sieht ein: »Wir müssen etwas tun, sonst haben wird bald keine Parks mehr.« Doch was? Im Herzen Wilmersdorfs haben vor einigen Jahren die Thailänder vorgemacht, wie es gehen könnte. Sie hatten sich ausgerechnet den kreis-runden »Preußenpark« zum Standort eines allwochenendlichen Marktes auserwählt, Hunderte grillten, kochten im Wog, tauschten Fisch, Fleisch, Saucen und spielten Karten und Roulette. Die Thailänder hatten sich mit den Müllmännern arrangiert, die jeden Montag, gegen ein kleines Bakschisch selbstverständlich, die gutverschnürten Müllsäcke einsammelten, die die Thailänder am Parkausgang für sie bereitgestellt hatten. Während des Wochenendes ging eine Frau mit einem Rechen im Zehnminutentakt zwischen den ausgebreiteten Decken umher und entfernte jedes Papierschnipselchen, jeden Zigarettenstummel vom Rasen, sogar die öffentliche Toilette hielt sie sauber. Gegen Abend entrichtete jeder Marktbesucher seinen Obolus an die Reinigungskraft, später stellte das Grünflächenamt den Gästen aus Asien sogar einen Müllcontainer zur Verfügung. Und am Ende des Sommers streuten die Thailänder Grassamen in die kahlen Stellen der Grünanlage. Vier Jahre lang trafen sie sich, schienen niemanden zu stören, und niemand störte sie. Doch heimlich wuchs der Widerstand unter den Deutschen, der Preußenpark sollte ein deutscher Park bleiben, und weil man keine konkrete Handhabe gegen die asiatischen Saubermänner hatte, suchte man verzweifelt nach anderen Argumenten. Und fand eines. Plötzlich wiesen vier Schilder in englischer, thailändischer und deutscher Sprache darauf hin, daß die öffentliche Grünanlage nur »so genutzt werden darf, wie es ihrer Zweckbestimmung entspricht«. Ein asiatischer Marktplatz aber, das war der Sinn einer deutschen Grünanlage nicht. Auch die Gegner der Grillgemeinde im Viktoriapark kämpfen nicht nur gegen Rauch und schlechte Sicht. Auch ihnen geht es, überhört man die feinen Untertöne nicht, darum, den deutschen Parkboden zu verteidigen. Die samstägliche Ausbreitung der ausländischen Großfamilien auf ihrer denkmalgeschützten Grünanlage ist ihnen nicht nur ein Dorn im Auge, sondern ein quälender Pfahl im Fleisch. Herr Jürgens spricht lediglich aus, was viele denken, wenn er in seinen weißen Socken und Sandalen die Treppen heruntersteigt, um die ausländischen Mitbürger über deutsche Sitten und Gebräuche in öffentlichen Parkanlagen aufzuklären. Und auch, wenn er dabei äußerst »höflich« vorgeht, so steht ihm doch der kollektive Ärger ins Gesicht geschrieben. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn dann »zwei junge Türkinnen – mit Kopftuch – eindeutig aus dem Kreis einer im Park grillenden Großfamilie« den deutschen Ordnungshüter anblaffen: »Du alter Penner, was geht dich das an!« Zeichnung: Nikolaos Topp
»Was wollen die eigentlich?«, fragt ein junger Familienvater. »Wenn die aus dem Urlaub, aus der Türkei oder aus Griechenland, kommen, dann erzählen sie alle, wie es ihnen geschmeckt hat, und daß es überall so gut nach gegrilltem Fleisch riecht. Und hier können sie es nicht mehr riechen! Da stimmt doch was nicht.« Der Mann bringt es auf den Punkt. »Es geht nicht um den Rauch, es geht nicht einmal um den Müll. Es geht um uns!« Die Feinde der Griller winken ab. Blödsinn. Es geht um den Müll, um den Gestank, den Lärm, die Blumenbeete, die Ratten, die »inzwischen so groß wie Katzen« geworden seien. Und es gibt ja schließlich auch einige Deutsche unter den Grillfreunden. Zugegeben, eine Minderheit, denn eigentlich, sagt Herr Jürgens, handelt »es sich fast immer um dieselben Großfamilien. Klar, die türkischen Muttis sind halt froh, wenn auch mal der Patriarch das Essen macht …« »Null Toleranz«, fordert auch der CDUler Michael Braun »gegenüber den Parkbeschmutzern«. Von Herrn Jürgens braucht er das nicht mehr zu fordern. Der ist mit seiner Toleranz längst am Ende. Er sammelt jetzt Zeitungsausschnitte über die Berliner Parkanlagen. Aber auch andere Artikel. Zum Beispiel den über das Kopftuch. Da streicht er nun mit rotem Textmarker die Sätze an, die ihm gefallen: »Ich fürchte, die wahren Rassisten sind jene, die im Namen einer falsch verstandenen Toleranz für den Schleier in Schulen plädieren.« Oder diesen Satz: »Der Schleier (…) ist die Flagge des islamistischen Kreuzzuges, der die ganze Welt zum Gottesstaat deformieren will.« (Alice Schwarzer in der Frankfurter Rundschau vom 2. Juni) Doch dem Herrn Jürgens geht es nur um Müll und Rauch. Er kämpft gegen die Grillfreunde, sonst gegen niemanden. Oder fast niemanden jedenfalls. Denn wenn er siegreich aus diesem Kampf hervorgegangen, wenn das Versuchsprojekt gescheitert und das Grillen wieder verboten ist, dann, das hat er schon angekündigt, dann möchte er diese »sogenannten« Kreuzberger Festlichen Tage in Angriff nehmen, die man den Bürgern schon so lange »zumutet. Denn diese Festivität degeneriert seit Jahren immer mehr zu einem billigen, nervenden, lästigen Rummel.« Da treiben sich schließlich auch nur noch Ausländer herum. <br> |