Oktober 2002 - Ausgabe 41
Der Kommentar
Schaukämpfe von Udo Wasserwelle |
Der sozialdemokratische Kanzler Schröder und sein angeblicher politischer Antipode traten bei der diesjährigen Wahl erstmals in der Geschichte der deutschen Demokratie zum öffentlichen Schaukampf an. Vor laufenden Kameras taten sie, als kämpften sie gegeneinander, und als ginge es um grundverschiedene politische Ansichten. Im Grunde jedoch ging es vor allem darum, wer als nächster ans Steuer darf. Denn schließlich sitzen beide im selben Boot, und das rauscht den Bach runter. Deshalb stritten sie auch nicht wirklich um den politischen Kurs, denn die Großwetterlage in Europa und der lecke Kutter, mit dem sie unterwegs sind, läßt kaum eine Wahl: Es geht, ganz anders als beide Politiker es uns weismachen wollen, mit dem Strom bergab! Und niemand kann eigentlich den neuen Steuermann um sein Amt beneiden – er wird es schwer haben in den kommenden vier Jahren. Dennoch taten beide, als hätten sie die Sache im Griff. Andere witzelten weniger unfreiwillig. Vor allem in Kreuzberg machte Christian Ströbele mit dem Flowerpowerplakat des Karikaturisten auf sich aufmerksam. Wahrscheinlich konnten sich beim Anblick des bunten Bildes, auf dem Polizisten und Demonstranten einander mit Blümchen begrüßen und hinter der Oberbaumbrücke zwischen Ost und West eine strahlende Sonne aufgeht, nicht einmal die CDUler ein Lächeln verkneifen. Ihr Herr Dr. Wansner sah dagegen wieder einmal ziemlich blaß aus. Auch Bärbel Grygier, einst Kreuzberger Bürgermeisterin, strahlte von jedem dritten Ampelmast. Vorsichtshalber hatte man die Frau ganz oben an den Mast gehängt, knapp unter den Ampellichtern, damit nicht jeder christdemokratische Dreikäsehoch sie gleich wieder vom Mast holte. Doch trotz der ausgetüftelten Werbestrategien, trotz der Drohung mit der Knappheit der Entscheidung, trotz der Reden ins Gewissen des Deutschen und der impertinenten Aufforderung, den Gang zur Wahlurne anzutreten, gab es auch in diesem Jahr keine 100%ige Wahlbeteiligung. Denn je mehr die Politiker reden, je häufiger sie in unterhaltsamen Talkshows und auf den Fernsehbühnen auftreten, um so weniger glaubt man ihnen. Auch die groß angekündigten Duelle wurden von vielen nur noch belächelt. Sogar von jenen, die zähneknirschend Jahr für Jahr das kleinere Übel wählen, um wenigstens ein noch größeres Unglück zu vermeiden. <br> |