Oktober 2002 - Ausgabe 41
Essen, Trinken, Rauchen
Zum Schnitzelhaus von Hans W. Korfmann |
Früher hieß es Urban, jetzt heißt es Zum Schnitzelhaus. Es gibt Bier und Korn und Schnitzel und Currywurst. Draußen bietet ein »Biergarten« Platz für drei Tische, drinnen schluckt die Wandvertäfelung aus schwarzer Eiche das Licht, das durch die gelblichen, glockenartigen Lampenschirme über den Tischen sickert. Gesprochen wird Deutsch im deutschen Ecklokal, und die Rede ist von Kanacken, die auf Bänken schlafen, während die Polizei vorbeifährt, als sehe sie nichts. Gesprochen wird von polnischen und von deutschen Juden. Gesprochen wird von damals, als das Lokal noch Wahllokal war, und als sich noch Menschenmassen durch die Tür drängten. Die drei übriggebliebenen Stammgäste am Tisch können auf die Wahl im Lokal verzichten. Aber die Frau mit dem Schnaps am Nachbartisch meint: »Die Leute müssen ja nicht hier bleiben, wenn sie wählen. Die kommen rein, schreiben ihren Zettel, und gehen wieder. So einfach ist das!« »Ja, wenn das mit dem Wählen noch so einfach wäre wie damals. Aber heute kennt sich doch keiner mehr aus!« »Außerdem mußt Du mehrere Kreuzchen machen!« »Und hier die können doch nicht lesen! Wie solln die denn ihr Kreuzchen machen? Ist doch alles auf Deutsch!« »Na zdrowie«, sagen die drei Alten, halten ihre Gläser hoch und nicken der blonden Frau am Tresen zu. Anja, das einzige Licht im Lokal, lächelt freundlich, aber ihr »Na zdrrrowie« hört sich an wie ein kleiner Donner. Dabei haben die Männer gar nichts gegen Polinnen. Wenn sie hübsch sind. »Aber wenn diese strickenden Kopftuchhalter, die unsere Bänke belagern, hier reinkämen, um zu wählen, dann wäre hier kein Platz mehr. Jedenfalls nicht für mich!« »Für mich auch nicht!«, sagt der zweite. Der dritte nickt. Die schöne Polin putzt mit einem Tuch den Tresen, als wäre er schmutzig. Sie schaut nach draußen auf die Straße, als erwarte sie etwas. Sie langweilt sich. Es ist früh am Nachmittag, Ablösung kommt erst am Abend. »Anja, machst du mir noch ’ne Portion Pommes?«, sagt einer. »Rote oder weiße? Das muß man schon dazu sagen«, sagt der andere. »Ich hätte gern ein Schnitzel!« »Der Koch ist nicht da. Ich kann Schnitzel nicht so gut. Aber Currywurst kann ich!« »Gut, dann nehm ich eben ’ne Curry!« Anja verschwindet nach hinten, dafür betritt der Inhaber der »gutbürgerlichen Küche« die Szene. Er hat einen großen Schnurrbart. Er stammt nicht aus Polen und auch nicht aus Deutschland. Er kommt wahrscheinlich aus Istanbul oder Izmir. Die Männer am Tisch wissen es nicht so genau. Obwohl er seit zwei Jahren ihr Wirt ist. »Sag mal, wieso ist das hier eigentlich kein Wahllokal mehr?« »Ich weiß gar nicht, wie man ein Wahllokal wird, und wo man da hinmuß«, sagt der Wirt. Das wissen die Männer am Tisch auch nicht. »Wahrscheinlich zum Bürgermeister. Aufs Rathaus. Aber das is ja jetzt auch im Osten drüben.« Die Currywurst kommt, und ein Berg goldener, dampfender Pommes. Die blonde Anja lächelt. »Kochen kann se ja, die Kleene!« »Ja, aber irgendwie wär das schon komisch, wenn das hier ein Wahllokal wäre. Mit `nem türkischen Wirt und `ner polnischen Bedienung. Da kommt doch keiner rein.« »Naja, wir kommen ja auch noch!« »Stimmt.« »Aber nur aus Gewohnheit!« <br> |