Kreuzberger Chronik
November 2002 - Ausgabe 42

Der Kommentar

Im Haus am Checkpoint Charlie


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von Michael Unfried

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Das Mauermuseum steht noch tief im Westen. Die Sicht auf die Mauer ist die Sicht der einen Seite. Es wäre wünschenswert, es entstünde auf der anderen Seite des gelüfteten eisernen Vorhanges ein zweites Haus. Vielleicht gelänge es dort, die Vergangenheit etwas weniger feindselig zu betrachten.

Denn auch im Jahr 13 nach der »friedlichen Revolution« der Menschen aus dem Osten Deutschlands – die so gern als ein Sieg des Westens über den Osten verkauft wird – herrscht in den Räumen im Mauermuseum noch immer ein Ton der politischen Propaganda. Während der Film vom Tunnelbau die Bilder glücklicher Mütter zeigt, die ihre Kinder in Empfang nehmen, spricht die Stimme aus dem Off von Menschen, die mit »bloßen Händen gegen die Maschinenpistolen eines verbrecherischen Systems« ankämpften.

Und während auf einer Karte, die den Verlauf der Mauer mittels schwarzer Kreuze der an der Grenze Gefallenen nachzeichnet, der Westen ein unbeflecktes Stück Land ist, läuft vom Osten her in dramatisch dicker, roter Ölfarbe das Blut übers Land. Ein kleiner, hölzerner Hundekäfig soll die Unmenschlichkeit an der Grenze dokumentieren, die ungebügelten Uniformen der Volkspolizei in den Vitrinen nicht wie in anderen Museen an den vergangenen Glanz und Ruhm des Kaiserreichs erinnern, sondern an ein puritanisches Herrschaftsregime.

Das Museum zeigt eine unmenschliche DDR. Es interessiert sich jedoch weder für die Vergangenheit der Flüchtlinge noch für die ungewisse Zukunft, in die sie flogen, rannten oder schwammen. Ihr Schicksal wird nicht weiter verfolgt. So kommt der Besucher mitunter ins Grübeln. Man muß kein Freund Erich Mielkes sein, um sich zu ärgern, wenn über dem ausgestopften Dachs, den der Jäger Mielke »eigenhändig erlegte«, der ironische Titel »Wertvolle Beutestücke der siegreichen Revolution« steht. Ein Blick ins Wohnzimmer des großen Befreiers Kohl wäre ebenso unerfreulich gewesen. Und wenn man auch vor dem Fall der Mauer die Büste Stalins schon einmal in Wachs goß und mit einem Docht versah, war das mit Sicherheit nicht mit dem üblichen sozialistischen Ernst geschehen.

Auch die zweifelhaften Beiträge aus BZ und Boulevardpresse, die die großflächigen Fotografien über Flüchtlinge und Fluchten begleiten, haben wenig mit kritischer Aufarbeitung zu tun. Sie erinnern deutlich an die veraltete Sprache billiger Propaganda – aus jenen vergangenen Zeiten eben, als die Mauer noch stand. Dennoch ist ausgerechnet dieses Museum zum Anlaufpunkt für Schulklassen und Bildungsreisende aus allen Ländern der Welt geworden. Den Politikern des Ostens wurde vorgehalten, eine einseitige Geschichtsschreibung zu betreiben. Im Mauermuseum macht es der Westen bis heute nicht besser.

Und wenn im letzten Zimmer des kleinen, aber gut verdienenden Museums mit seiner scheinheiligen »Ode an die Freiheit« unter feierlichen Fanfaren die Mauer fällt, dann beschleicht einen das ungute Gefühl, daß in den Köpfen der jugendlichen Besucher diese Mauer gerade wieder aufgerichtet wurde. Und das sollte doch gewiß der Sinn des Hauses am Checkpoint Charlie nicht gewesen sein. <br>

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