November 2002 - Ausgabe 42
Die Freizeit
Museumsbesuche 2: Mauermuseum von Michael Unfried |
Die Friedrichstraße 45 ist das letzte Haus im Kreuzberger Norden. Vor 13 Jahren noch war es das letzte Haus im Westen Berlins. Von den Fenstern aus blickte man auf den Grenzübergang Checkpoint Charlie. Schon wenige Monate nach dem Bau der Mauer erhielt das Gebäude einen Namen, der heute von internationaler Bedeutung ist: Haus am Checkpoint Charlie. Es diente nicht nur verschiedenen Ausstellungen über den Ost-West-Konflikt, sondern war auch für Fluchthelfer ein beliebtes Ausflugsziel. Denn ein schießschartengroßer Ausguck auf der Rückseite gab den Blick auf den Grenzstreifen frei. Vor zwei Jahren fiel auch der authentische Hochsitz des Westens dem Fortschritt zum Opfer. Das angrenzende Grundstück wurde verkauft. Auch ohne das Guckloch avancierte das Haus am Checkpoint Charlie nach dem Fall der Mauer zu einem der meistbesuchten Museen Berlins. Kein Amerikaner, kein Japaner, keine Schulklasse wird bei einem Berlinbesuch darauf verzichten. Seit ihrem Fall ist die Mauer Berlins geheimes Wahrzeichen und seine große Touristenattraktion. Da die übereifrigen Erneuerer nichts Eiligeres zu tun hatten, als das Mahnmal abzureißen, bleiben heute neben wenigen Mauerresten nur noch Filme und Fotografien. In der Friedrichstraße sind sie zu sehen. Die Wände hängen voll mit den schwarz-weißen Zeugnissen der Geschehnisse an der Berliner Mauer. Vor allem der Fluchten. Das Haus am Checkpoint Charlie dokumentiert eindrucksvoll den unsterblichen Freiheitsdrang des Menschen. Und es ist erstaunlich, auf welch wundersame und waghalsige Ideen jene kamen, die sich mit der Mauer nicht abfinden konnten und dem Osten den Rücken kehren wollten. Selbst jene Schüler, die 1989 noch am Daumen lutschten und heute von abenteuerlichsten Actionfilmen abgehärtet sind, kommen beim Anblick des winzigen Verstecks im Benzintank eines Fluchtautos oder der Einkaufstasche, in der eine Frau ein Kind über die Grenze schmuggelte, ins Staunen. »Das war schon ganz schön heftig!«, sagt ein Mädchen, nachdem sie den Kommentar der BZ gelesen hat. Oder sie bleiben minutenlang wie angewurzelt stehen und sehen sich die verwackelten Aufnahmen des Dokumentarfilms vom Bau des Tunnels 57 an. 145 Meter war er lang, verlief in zwölf Metern Tiefe, 9 Monate karrten sie mit einer hölzernen Lore, die in einer Vitrine ausgestellt ist, das ost-westliche Erdreich zutage. 57 Menschen gelang durch diesen Tunnel die Flucht, vor Glück weinende Frauen und Kinder. Der Pädagoge der Schulklasse macht einen zufriedenen Eindruck. Das Museum ist beeindruckend. Hier erleben seine Schüler deutsche Geschichte hautnah. Sie betrachten die selbstgebauten Motorsegler mit ihren Trabantmotoren, die aussehen wie in den alten Donald-Duck-Heftchen. Die Drahtseilbahnen, mit denen sich Flüchtlinge über die Straßen in den Westen abseilten, das U-Boot, Faltboote und den Heißluftballon. Oder dieses winzige Auto mit dem witzigen Namen Isetta. So klein, daß kein Grenzposten auf den Gedanken kam, in einem solchen Gefährt könne mehr als ein Mensch Platz finden. Sechs mal überfuhr die Isetta mit ihrem »Motor, nicht größer als ein Kochtopf«, unbehelligt die Grenze, bis es einer älteren Dame dann doch zu eng wurde im Kofferraum. Als die auf dem Grenzübergang geparkte Isetta sich zu bewegen begann, obwohl gar niemand im Auto saß, wurden die Grenzer aufmerksam. Mit dieser Sammlung von Fluchtgeschichten und Vehikeln zur Überwindung der Mauer dokumentiert das Haus am Checkpoint den Freiheitsdrang einiger DDR-Bürger. Und feiert im letzten Raum dementsprechend ausführlich die Befreiung. Dort nämlich läuft 13 Stunden am Tag das Video mit dem Titel »Ode an die Freiheit«. Es berichtet von der »gewaltlosen Revolution«, dem Fall und dem Tanz auf der Mauer. Käuflich zu erwerben im Museumsshop für 23 Euro und einen Cent. Geöffnet »an allen Tagen des Jahres« von 9 bis 22 Uhr; Eintritt 7 Euro. <br> |