Kreuzberger Chronik
November 2002 - Ausgabe 42

Essen, Trinken, Rauchen

Hünkar


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von Hans W. Korfmann

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Durchs Fenster des Restaurants in der Kottbusser Straße spannt sich das hölzerne Modell einer Brücke, kleine Lämpchen leuchten den Spielzeugautos den Weg. Es ist die Brücke über den Bosporus, vom Orient zum Okzident und von West nach Ost.

Willkommen steht auf der Tür, deutsch auf dem einen Flügel, türkisch auf dem anderen. Im Restaurant sitzen schweigend Männer, essen und trinken Tee. Eine Frau mit weißem Kopftuch geht von Tisch zu Tisch und nimmt die Bestellungen auf. Sie kann den zwei Fremden, die am Fenster Platz genommen haben, jede Frage beantworten. Hünkar ist eine Stadt in der Türkei, der »Kebab im Ofen gebacken«, wird in eine lange Teigrolle gefüllt und ins Rohr geschoben, und zum Hackfleischspieß serviert man Gemüse, wahlweise Reis oder Pommes, wenn es sein muß, auch mit »Ketchup und Majo«, sowie zwei verschiedene Soßen. Bier transportiert der kleine Lastwagen auf der Brücke noch nicht. Die beiden Fremden entscheiden sich für eine Apfelschorle.

»Und dann erzählt er mir, daß er das Hausmädchen gevögelt hat, und daß er eine in London hatte und eine in Paris …«, sagt die Fremde. »Da bin ich das erste mal hellhörig geworden. Und als ich dann den Zwanziger in der Schublade gefunden hab, bin ich ausgerastet …«

Der Mann, der ihr gegenüber sitzt, redet nicht so laut und nicht so schnell. Er rauft sich die Haare und gibt ab und zu einen nett gemeinten, aber wenig hilfreichen Ratschlag von sich. Erst als der duftende Fleischspieß kommt, umgeben von farbenfrohem Gemüse, erhellt sich das Gesicht des Zuhörers. Auch die Betrogene schweigt für Sekundenbruchteile, als sie die große, dampfende Teigrolle vor sich sieht. »Das ist schon was anderes als son Döner!«, sagt sie.
»Möchten Sie vielleicht noch etwas trinken?«, fragt die Frau mit dem Kopftuch in akzentfreiem Deutsch.
»Ja, ich habe schon einen ganz trockenen Mund vom vielen Reden. Eine Apfelschorle noch bitte! … – Und dann erzählt er mir von seiner letzten, einer Opernsängerin, und jedesmal, wenn er sie dort auf der Bühne gesehen hat, dachte er: Und mit diesen Lippen hat sie mir einen geblasen!«

Der junge Mann am Nebentisch, der gerade ein Stück vom dampfenden Hefebrot abgerissen hat und es in die Soße tunken will, legt das Brot wieder in den Korb zurück. Er wirft dem Zuhörer noch ein höfliches Lächeln zu und erhebt sich mit seinem Mittagessen, um ans andere Ende des Raumes zu fliehen. Die Teetrinker am Nebentisch sehen schweigend herüber, auch die vier Köche in ihren weißen Jacken mit dem schmalen, grünen Streifen am Kragen haben ein Auge auf die Erzählerin geworfen. An einem Tisch an der Ecke sitzen drei Kinder und falten Servietten.

»Ich glaube, der sucht nur eine zum Ficken, die in Berlin wohnt und zu der er gehen kann, wenn er geschäftlich hier ist …«
»Möchtest Du mal probieren? Das ist der beste Fleischspieß, den ich je gegessen habe!«
Sie kostet ein kleines Stück und nickt, »wirklich gut – aber als er dann anrief und fragte, was denn mit mir los sei, nach diesen drei Tagen im Bett …«
»Können wir zahlen?« Die Frau mit dem Kopftuch kommt an den Tisch. Der Zuhörer klappt sein Portemonnaie auf und sagt: »Das war wirklich gut! Ich hab noch nie einen so saftigen Spieß gegessen!« – »Danke!« – »Weshalb sprechen Sie eigentlich so gut deutsch?« – »Weil ick ’ne waschechte Berlinerin bin!«, sagt die Frau mit dem Kopftuch. Der Zuhörer errötet.

»Mann«, sagt er, als er wieder allein ist mit seiner Erzählerin, »ich hab mich die ganze Zeit schon gefragt, was mit dem Kopftuch nicht stimmt!«
»Ich dachte, du hättest mir zugehört!«, sagt die junge Frau im Hinausgehen. Die Männer an den Tischen nicken freundlich. Durchs Fenster spannt sich die Brücke über den Bosporus. Von Ost nach West, vom Orient zum Okzident. Im Fenster. <br>

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