Mai 2002 - Ausgabe 37
Strassen, Häuser, Höfe
Rahel-Varnhagen-Promenade von Michaela Prinzinger |
Zu den wenigen Frauen auf Kreuzberger Straßenschildern gehört seit der Wende Rahel Varnhagen. Neben dem Fanny-Hensel-Weg und dem Ida-Wolff-Platz wurde ein Gehweg vor einem Wohnkomplex am Anfang der Friedrichstraße wohltönend zur Promenade erhoben und nach einer der herausragendsten Salondamen und Briefschreiberinnen um 1800 benannt. Geboren wurde sie am 19. Mai 1771 als ältestes Kind des jüdischen Kaufmanns Markus Levin. Von klein auf war sie kränklich, der Körper war ihr Feind, eine höllisch schmerzhafte Form des Rheumatismus plagte sie ihr Leben lang. Doch Gesundheit war im 19. Jahrhundert ohnehin fast anstößig, Kranksein gesellschaftsfähig und gehörte zum Frausein dazu. Sie wuchs im Hause eines strengen, patriarchalischen Vaters und einer ohnmächtigen Mutter auf. Sie erhielt keine Schulbildung durch Hauslehrer oder Gouvernanten, daher fühlte sie sich schon früh als Selbstdenkerin und Autodidaktin. Ihre Briefe, in einem eigenwilligen Stil verfaßt, sind ein autobiographisches und literarisches Dokument, ein geistvolles und erschütterndes Bekenntnis. Ihre Eigenschaften »Frau und Jüdin und nicht schön« kompensierte sie durch Witz, Charme, Esprit und Originalität. Nach dem frühen Tod des Vaters scharte sich um die neunzehnjährige Rahel bald ihr erster Salon, im Mansardenzimmer der elterlichen Wohnung in der Jägerstraße. Diese Stube wirkte wie ein exterritorialer Raum, ein Fluchtpunkt, der die geltenden Hierarchien außer Kraft setzte und ihr eigenes Exil wurde. Leute, die sich in der Welt draußen nicht trafen, kamen in ihrem Salon zusammen. Obwohl sie als unverheiratete, arme Jüdin einen literarischen Salon führen konnte, bedeutete das aber noch lange nicht, in die Berliner Gesellschaft integriert zu sein. Rahel gehörte zu denjenigen Frauen in der Romantik wie Karoline Schlegel, Karoline von Günderrode, Bettine von Arnim oder Henriette Herz, die in die Literaturgeschichte eingingen. Durch ihr Schreiben und ihre aktive Rolle in der Gesellschaft traten sie aus der Anonymität ihres Geschlechts heraus. Rahel hatte einen besonders fremden und gebrochenen Status unter ihnen. Jüdischer Herkunft und als Frau fühlte sie sich doppelt benachteiligt, doppelt gekränkt. Ihr Ausschluß aus den wichtigen Positionen wurde ihr dadurch umso deutlicher. Sie empfand es als »neben der Gesellschaft« zu stehen, »falsch« geboren zu sein. Der bürgerlich-jüdische, nicht mehr aristokratische Salon rückte um 1800 in den Mittelpunkt des Berliner geistigen Lebens, das sich in etwa zehn Salons und unter etwa 100 Menschen abspielte. In den Salons der Jüdinnen verkehrten vor allem Männer, da sich die Frauen hüteten, das anstößige »Treiben« zu verfolgen. Adelige Herren, Dichter, Leute aus Oper und Theater verkehrten dort, die man sonst nie zu sich ins Haus geladen hätte. Der Kreis um Rahel galt als der anziehendste ganz Berlins. Es wurde Tee serviert, ein Klavier stand bereit, und eine Gastgeberin mit Gespür und Charme ging auf ihre Gäste zu und gab ihnen das Gefühl, willkommen und etwas besonderes zu sein. Geselligkeit galt als Kunstwerk und ihre Teilhaber als Künstler, die Salondamen waren Selbstdarstellerinnen, die ihre Zusammenkünfte inszenierten. Bei Rahel traf sich zwar die geistreichste Gesellschaft, nicht aber die »gute«. Die Gastgeberinnen waren Menschenkennerinnen und Seelentrösterinnen, die das Beste aus ihren Gästen herauslockten. So lernte sie ihre erste große Liebe, Karl von Finckenstein kennen, den blonden Märchenprinzen, der sie durch die Ehe in den Stand einer Gräfin setzen und den »Makel« ihrer Geburt auslöschen konnte. Nach vier Jahren Verlobungszeit, in der sich Finckenstein nicht entschließen konnte, seiner Familie die Stirn zu bieten, welche die jüdische Braut als Skandal empfand, löste Rahel die Verbindung. Einige Zeit später verliebte sie sich Hals über Kopf in den spanischen Botschaftssekretär Raphael D’Urquijo und verlobte sich mit ihm, dem Schönen. Es war eine Art »amour fou« mit verkehrten Rollen: der schöne Mann und die ihm verfallene kluge Frau. Auch diese ausweglose, von der Eifersucht und dem Machismo des Spaniers getrübte Beziehung wurde durch Rahel beendet. 1806, mit dem Einzug Napoleons in Berlin, wurde zum Schicksalsjahr. Die Familie, die den Salon als Spekulation auf Geschäfte und als Heiratsmarkt in Kauf nahm und finanzierte, zog nun ihre Unterstützung zurück. Der jüdische Salon wich nunmehr den Männerbünden, bei denen die patriotisch gewordenen Romantiker verkehrten. Frauen, Franzosen und Juden waren davon ausgeschlossen. Rahels Freunde waren ins Ausland gegangen, die zurückgebliebenen Romantiker gaben sich jetzt deutsch, patriotisch, antisemitisch und in persönlichen Beziehungen konservativ. Nach 1806 teilte sie den ausbrechenden Patriotismus und Nationalismus nicht. Sie meinte, Vaterlandsliebe und Weltoffenheit müßten keine unversöhnbaren Gegensätze sein, stand mit dieser Meinung aber ziemlich allein. 1808 lernte sie August Varnhagen kennen, einen Medizinstudenten mit literarischen Neigungen, der vierzehn Jahre jünger war als sie. Diesmal war Rahel bestimmt und hielt den jungen Liebhaber an der Kandare. 1814 ließ sie sich taufen (auf den Namen Friederike Antonie Robert) und wurde noch am selben Tag Madame Varnhagen. Der Mann machte sich einen Namen als politischer Journalist und Diplomat an der Seite Hardenbergs, und 1819 kehrte das Ehepaar nach Berlin zurück. Rahels Salon in der Französischen Straße 20, wo Hegel, Ranke, Alexander von Humboldt und Fürst Pückler verkehrten, war keine Dachstube mehr, sondern eine gesellschaftlich etablierte Institution. Rahel war endlich integriert, getauft, verheiratet, adelig und ohne Geldsorgen. Und Varnhagen genoß den Ruhm seiner Frau und machte sich zu ihrem Privatsekretär, er sammelte ihren Nachlaß bereits zu Lebzeiten, schrieb ihre Briefe ins Reine und strich unerwünschte Passagen. Dieser Nachlaß, von ihrem Mann der Handschriftensammlung der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin vermacht, machte eine lange Irrfahrt durch. Denn im Zweiten Weltkrieg wurden die Bestände ausgelagert und in ein niederschlesisches Kloster gebracht. Danach bleiben Mozarts Originalpartituren und Rahels Briefe lange Zeit verschollen. Erst 1977, bei einem polnischen Politikerbesuch, wurde klar, wo sich die Bestände befanden: in Krakau. August Varnhagen hatte, wie Eckermann bei Goethe, ihren Besitz und selbst Alltagsgegenstände (Anti-Rheuma-Pillen, Hutfedern, Halstücher, Haarlocken) aufbewahrt, ihre Aussprüche notiert, ihre Briefe ediert. Denn früh schon hatte Varnhagen eines erkannt: Rahel hatte ein ganzes literarisches Genre, einen literarischen Lebensstil mitbegründet und geprägt. Michaela PrinzingerLiteratur: Rahel Varnhagen, »Jeder Wunsch wird Frivolität genannt«. Luchterhand 1983. Carola Stern, »Der Text meines Herzens«. Rowohlt 1994. <br> |