März 2002 - Ausgabe 35
Strassen, Häuser, Höfe
Wilhelmshöhe von Michaela Prinzinger |
Als 1871 König Wilhelm von Preußen zum deutschen Kaiser proklamiert wurde und zweiundzwanzig Familien in die Villenkolonie an dem kleinen Sträßchen einzogen, ahnte wohl keiner, wie ungern Wilhelm I. deutscher Kaiser wurde. Er wehrte sich mit Händen und Füßen gegen den Titel. Er war leidenschaftlicher Preuße und fürchtete um das Schicksal Preußens. Zurecht, denn sein Königreich ging im deutschen Reich auf und in gewisser Weise auch unter. König Wilhelm empfand es als Zumutung, daß seine geliebte preußische Armee als »deutsche« bezeichnet werden sollte. Aber er fügte sich in sein Schicksal – unter Seufzen, Weinen und Schluchzen. Und unter dem beständigen Druck seines Ministerpräsidenten Otto Bismarck. Zeit seines Lebens sollte sich Wilhelm als Marionette Bismarcks fühlen, der ihm seiner Meinung nach die Kaiserkrone aufgezwungen hatte. In einem Brief an seine Ehefrau Augusta von Sachsen-Weimar notierte er in Versailles: »Eben kehre ich vom Schloß nach vollbrachtem Kaiserakt zurück. Ich kann Dir nicht sagen, in welch moroser Emotion ich in diesen letzten Tagen war, teils wegen der hohen Verantwortung, die ich nun zu übernehmen habe, teils und vor allem über den Schmerz, den preußischen Titel verdrängt zu sehen.« Wilhelm fand sich in der Folge als »Barbablancas«, als König Weißbart, auf Bierkrügen und Pfeifenköpfen wieder, auf Fotomontagen, die ihn in phantastischen Kaiserkostümen zeigten. Das kommentierte er trocken mit: »Da sehe ich ja aus wie ein Baalspriester.« Und zu seiner neuen Unterschrift »Rex et Imp.« erklärte er: Imperator kürze er ab, weil er nur das eine ganz sein könne. Nämlich König von Preußen, und nicht Kaiser von Deutschland. Das Sträßchen namens Wilhelmshöhe entstand in einer Zeit, als Berlin zur Hauptstadt des deutschen Reiches wurde. Die Bevölkerung explodierte, immer mehr Auswärtige zogen in die Stadt. Mietskasernen und Villen, Schulen und Kasernen, Bahnhöfe und Fabriken, Generalstabsgebäude und Bankpaläste, die größte Irrenanstalt und das modernste Gefängnis Deutschlands wurden in Berlin errichtet. Wilhelm jedoch dachte nicht daran, in ein Königsschloß zu ziehen oder ein Kaiserschloß zu bauen. Er wohnte im schlichten, preußisch-strengen Palais Unter den Linden. Er pflegte die preußischen Tugenden: Er trug seine Uniformröcke und Soldatenstiefel, behielt sie auch am Schreibtisch an, wehrte sich gegen die Idee einer legeren Kleiderordnung: »Die Hohenzollern tragen keine Schlafröcke.« Er brauchte auch kein Badezimmer, einmal in der Woche ließ er sich aus dem gegenüberliegenden Hôtel de Rome eine Badewanne herbeiholen. Erst als ein alter Diener damit stürzte und sich ein Bein brach, ließ Wilhelm ein Badekabinett einbauen. Bis an sein Lebensende schlief er auf eiserner Bettstelle in einem Alkoven, in den kein Tageslicht eindrang. Ein Beobachter beschrieb seine spartanische Einrichtung: »Der Nachttisch konnte höchstens 16 Gutegroschen gekostet haben und in einer Auktion nicht 3 einbringen.« Er rauchte nicht, Billard spielte er nur bis zu einem Einsatz von fünf Groschen. Er aß Hausmannskost, trank Rotweinschorle und markierte am Schluß der Mahlzeit den Stand des Weins in der Flasche mit einem Stift. Champagnerflaschen, die nicht ganz leer getrunken wurden, hob Wilhelm aus Prinzip auf. Als ihn ein Adjutant darauf hinwies, daß sich angebrochener Champagner nicht aufbewahren ließ, meinte er: »So seid ihr jungen Herren. Bei euch heißt es gleich: den Bedienten geben, wie? Aber ihr versteht das nicht. Diese Flasche wird nun fest verkorkt und auf den Kopf gestellt und hält sich bis morgen tadellos.« Am nächsten Tag mußte der Adjutant zugeben, daß der Champagner wirklich tadellos schmeckte … Und die Bedienten ließen den deutschen Kaiser in seinem Glauben. Denn wie immer hatten sie eine neue Flasche entkorkt und Wilhelm genau so viel serviert, wie in der alten Flasche übriggeblieben war. Wilhelm war mittlerweile zur populären Ikone geworden, um den sich ganze Girlanden von Anekdoten rankten. Er ging auf die Neunzig zu und hatte mit seiner Frau soeben Goldene Hochzeit gefeiert. Er behauptete von sich, er sei der größte Pantoffelheld Deutschlands. Er habe sich eben in die Besserwisserei und Bevormundung durch seine Frau geschickt. Als sie dann ernsthaft krank wurde, ging es ihm doch an die Nieren, und er erläuterte seinem Generaladjutanten: »Seien Sie erst einmal fünfzig Jahre verheiratet, zanken Sie sich jeden Tag mit Ihrer Frau und stehen Sie vor der Alternative, daß diese Gewohnheit aufhören soll, dann werden Sie auch unglücklich sein.« Seine Auffassung der preußischen Pflichterfüllung spiegelte sich auch in seinem Liebesleben wider. Als ganz junger Mann, 1820, hatte er sich in eine Tochter des polnischen Fürsten Radziwill verliebt. Um Elisa von Radziwill kam es zum Konflikt zwischen Vater und Sohn, Friedrich Wilhelm III. und Wilhelm. Nach jahrelangem Hin und Her um eine mögliche Verbindung – Gutachten folgte auf Gutachten über die Ebenbürtigkeit der Braut – kam der Vater schließlich zu dem Schluß, sie sei doch nicht gleichrangig und verbot die Verbindung. Schließlich endete der ödipale Konflikt in einem Biedermeier-Rührstück: Vater und Sohn trafen sich auf der Pfaueninsel, fielen sich in die Arme und weinten, als Wilhelm die Entscheidung des Vaters zähneknirschend akzeptierte. Die arme Elisa hatte sich sechs Jahre lang als »Braut« gewähnt, und zum Trost schickte ihr Friedrich Wilhelm III., nach dem Verzicht seines Sohnes, den Luisen-Orden, den er für die Verdienste preußischer Frauen um das Vaterland gestiftet hatte. Viele Jahre später, als er mit sechzig Jahren ein Testament verfaßte und an die wichtigsten Stationen seines Lebens zurückdachte, schrieb er über seine erste Liebe: »Früh wandte sich mein Herz einem Herzen zu, das zu edel und rein für diese Welt war und daher nicht mein werden sollte! Das Verlangen, ihrer würdig zu sein, legte den lebendigen Grund zu meiner ganzen nachmaligen religiösen und Lebensrichtung. Der Kampf und der Schmerz der Entsagung stählte diesen Grund, drückte aber meinem ganzen Leben einen tiefen Ernst auf, der mich nicht wieder verlassen hat. Und so lernte ich Gottes Fügungen im Schmerz preisen.« Mit einem Wort: Das Verhältnis zu seinem Vater, das Verhältnis zu den Frauen und das Verhältnis zu Bismarck haben Wilhelms Leben geprägt. Friedrich Naumann bringt letztere Beziehung in einem schönen Zitat auf den Punkt: »Man kann sagen, daß niemand in ganz Deutschland dem alten legitimistisch monarchischen Empfinden tiefere Wunden geschlagen hat als Bismarck. Er hat bis in sein letztes Werk hinein die Mystik der Könige entschleiert, hat die alte Naivität der Untertanen ruiniert, hat aber dafür etwas Neues in die Welt gesetzt: das militärische Kaisertum, in dem der Machttrieb des Hohenzollernstaates sich mit dem Machttrieb des Nationalgedankens einte, eine Neubildung, die einen ganz neuen Zeitabschnitt einleitete.« Literatur: Franz Herre, »Wilhelm I. Der letzte Preuße.« Köln 1980. <br> |