März 2002 - Ausgabe 35
Die Literatur
Fischbüro (2): Christiane Roesinger: Fischbüro - Teil 2 von Christiane Roesinger |
Karl und Dimitri stritten um die Timothy Leary Bänder; der große Drogenphilosoph war in Berlin gewesen, Agenten hatten ihn ins Fischbüro geschleust und dort ein Gespräch aufgezeichnet. Jetzt ging es um die Vermarktungsrechte. Karls Gesichtsausdruck war ins Dämonische transzendiert, zuerst wollte er unbedingt 800 Mark für die Bänder, dann fuchtelte er mit einem Hunderter herum, den er jetzt in wütender Freizügigkeit dem Fischbüro spenden wollte. Dimitri versuchte abzulenken und ging hastig zum Tagesordnungspunkt »nicht funktionierender Putzdienst« über. Da kam plötzlich eine aufgelöst wirkende ältere Frau mit zerzauster Ex-Dauerwelle aus der Pfuelstraße auf die Krisensitzung zu. Ihr gemütliches Körpergebirge war durch mehrere übereinander getragene Schürzen verschnürt, die gummibestrumpften Beine fußten in den einst weißen, nun dreckgefärbten Gesundheitsschuhen eines billigen Birkenstocknachbaus. Am Handgelenk hing eine große, offenbar schwere, blauweiße Aldiplastiktüte. Heulend blieb sie vor der Krisensitzung stehen, zog die Rotze hoch, schluckte, beruhigte sich ein bißchen, schnäuzte sich, holte Luft, schniefte noch einmal kurz, um dann mit zwar weinerlicher, doch fester Stimme zu fragen: »Habt ihr einen Spaten für mich?« »Wir haben nur Becks«, riefen zwei Fischbüroler, »wollen Sie eins?« (Als erfahrene Gastronomen hatten Sie mit »Spaten« natürlich eine Pilssorte assoziiert.) Darauf brach die Frau in haltloses Weinen und Schluchzen aus, hob, einer griechischen Tragödienfigur gleich, anklagend die große, schwere Plastiktüte hoch, und von einem Heulkrampf geschüttelt rief sie aus: »Ich kann ihn doch nach all den Jahren nicht in die Müll-tonne werfen!« Das Fischbüro erstarrte in entsetztem Schweigen. Nach einigen Schrecksekunden wagte die Kassenwartin einen vorsichtigen Blick in die Tüte: Jäh ragten ihr vier steife, schwarzbehaarte Katzenbeine entgegen. Man begann mit der Suche nach einem Grabegerät, holte der Frau einen Klappstuhl aus dem Büro und bot ihr einen Schnaps auf den Schreck hin an. Bei diesem Anblick hellte sich ihr Gesicht erstaunlich schnell auf, dankbar trank sie routiniert mehrere weiße Tequilas auf ex und schien den tragischen Katzentod fast vergessen zu haben, bis jemand mit einer Schaufel aus der Bürotür kam. Da war es mit ihrer Fassung vorbei, sie stand mühsam auf und schleppte sich gramgebeugt mit Tüte und Schaufel zum Hinterhof des Hauses. In ihrer Abwesenheit besprach man das Ereignis, und als sie ernst und gefaßt zurückkam, noch mehr Schnaps verlangte, sitzenblieb und sich wie selbstverständlich in die Krisensitzung integrierte, nahm sich besonders Karl ihrer an. Zuerst bot er ihr die strittigen 100 DM für einmal Büroputzen an, Minuten später hatte er sie schon eigenmächtig als Putzfrau eingestellt, aber bevor Vorstand und Kassenwart protestieren konnten, hatte sich das Blatt schon wieder gewendet: »Du geldgierige Sau«, schrie Karl plötzlich, »hau bloß ab!« Merkwürdig unberührt faltete die Frau die nun leere Plastiktüte zusammen und steckte sie in ihre Schürzentasche, nahm eine halbleere Schachtel Zigaretten an sich, trank im Stehen einen letzten Schnaps und schlurfte wieder um die Ecke in die Pfuelstraße. In den Wochen darauf kam sie noch einige Mal vorbei, dann verlor man sich aus den Augen. Das Fischbüro konzentrierte sich auf einen kommerziellen Ableger, das »Fischlabor« in Schöneberg, und gab den Laden in der Köpenicker Straße schließlich auf. Dort zog später ein »Schleckermarkt« ein. Fast alle wurden später berühmt, gründeten Plattenfirmen, Technoclubs, Comicverlage oder Bands, vermarkteten die Loveparade, wurden Kulturredakteure und Redenschreiber. |