März 2002 - Ausgabe 35
Essen, Trinken, Rauchen
Überraschungen in Sarods Thairestaurant von Bernd Mathews |
Die asiatische Küche ist dafür bekannt, einen großen Hunger nur mit vielen kleinen Portionen verschiedener Gerichte stillen zu können. Überdimensionale Braten, gewaltige Knödel, stopfende Kartoffeln und fettige Eintöpfe stehen nicht auf der fernöstlichen Speisekarte. Deshalb verirren sich Maurer, Schreiner und Installateure auch nur selten in ein thailändisches Restaurant. Sie haben keine Lust, winzige Reiskörnchen mit zwei Stäbchen zum Mund zu jonglieren. In der Friesenstraße aber saß kürzlich ein Blaumann und speiste zu Mittag. Er hatte gehört, daß man sich im »Sarod Thairestaurant« für 5 Euro am »Lunch Buffet« bedienen und so oft und so viele Speisen auf den Teller häufen konnte, wie man Lust dazu verspürte. Tatsächlich standen auf kleiner Flamme acht Kochtöpfe, große Schöpflöffel lagen griffbereit, Suppen dampften, Fleischbällchen lockten, gebratene Nudeln und buntes, glänzendes Gemüse mit purpurroten Chilischoten. Augenblicklich setzte die Speichelproduktion ein, wahre Sturzbäche des sprichwörtlichen Wassers liefen dem Mann im blauen Overall im Mund zusammen, und als er das lächelnde Gesicht der Thailänderin sah, die sich bei der Begrüßung ihres Gastes ein winziges bißchen verbeugte, glaubte er sich für einen Moment in exotischer Ferne. Da er mit thailändischen Speisen nicht viel Erfahrung hatte, bestellte er zuerst ein Bier und setzte sich an den Tisch gleich neben der Anrichte, von wo aus er genau beobachten konnte, womit die anderen Gäste ihre Schüsselchen und Tellerchen füllten. Da war vor allem die Suppe ganz links, die offensichtlich niemand ausließ. Nach einer Weile wußte er sogar, wie diese Suppe hieß, denn die Wirtin erklärte jedem, der unschlüssig vor den fremden Speisen stand, was sich in ihren Töpfen verbarg. Also holte auch er sich zuerst einmal eine »Tom Kaa«, die berühmteste Suppe Thailands, eine Hühnersuppe mit Zitronengras und Kokosmilch. Sehr interessant, sagte sich der Gast, so etwas hatte er noch nie gelöffelt. Mit einer deutschen Hühnersuppe war das nicht vergleichbar. Eigentlich schmeckte sie überhaupt nicht nach Huhn. Auf jeden Fall schmeckte sie so gut, daß er noch eine zweite Schüssel füllte, diesmal mit einer Portion dampfenden, strahlendweißen Basmatireises. Auch das bunte Gemüse mit den weißen Würfeln, das er als nächstes kostete, weil die beiden Frauen am Tisch gegenüber sich schon zum dritten Mal aus diesem Topf bedienten, schmeckte anders als alles ihm bekannte. Lediglich die gummiartigen Würfel, die er zuerst für Käse gehalten hatte und die nach überhaupt nichts schmeckten, schienen ihm zwischen den aromatischen Dschungelfrüchten fehl am Platz. Sie erinnerten ihn an die geschmacklose Oblate, die ihm einst ein Ministrant in den Mund geschoben hatte. Nach diesem Tofugericht kostete er noch drei weitere Töpfe, um sich dann endlich über die kleinen Fleischbällchen herzumachen, die von den Kreuzberger Vegetariern verschmäht noch unberührt und idyllisch in einer leuchtend roten Soße schwammen. Da noch viele der appetitlichen Klößchen da waren, nahm er gleich sieben Stück und zwei große Löffel von der roten Soße. Da saß er dann, der Arbeiter in seinem Blaumann, arbeitete sich im Schweiße seines Angesichts bis zum fünften Klops vor, löschte die Schärfe des Chilis mit Bier, doch es wurde immer schlimmer, immer mehr Flüssigkeit trat aus seinen Poren, bis der letzte Fleischball vor seinen tränenden Augen bis zur Unsichtbarkeit verschwamm und er tatsächlich aufgeben mußte. Er hatte noch nie etwas auf seinem Teller zurückgelassen, aber als die thailändische Köchin lächelnd an seinen Tisch trat und fragte, ob er das Speisen beendet habe, nickte er nur stumm und zog einen verschwitzten Geldschein aus der Hosentasche. Blaumänner sind wie Indianer, und Indianer kennen keinen Schmerz. <br> |