Juni 2002 - Ausgabe 38
Der Kommentar
»Wer am besten redet, ist der reinste Mensch« von Hans W. Korfmann |
Walter Jens hat den Briefwechsel des Ehepaars Fontane studiert und ein Buch veröffentlicht, das vor allem Emilie Fontane, die Frau, die im Schatten des Gatten stand, ins rechte Licht rückt. Nicht, ohne daß nun auf den Literaten einige Schatten fielen. In den Briefen »präsentiert sich eine souveräne Frau, die es, einmal in der langen Einsamkeit am Anfang der Ehe, weiß Gott schwerer hatte als ihr Mann, der über die Probleme des Halb-Zölibats eher gleichmütig hinwegging – es gab Interessanteres«, schreibt Jens und entdeckt in Emilie eine Frau, »die – in der Mitte des letzten Jahrhunderts – ihresgleichen sucht (…)« Walter Jens beschreibt eine Frau, »die mit ihrem Alleinsein couragiert fertig zu werden versucht: die Enge der Wohnung! Die alltäglichen Sorgen! Ständig Schulden, wenig Trost und kaum Geselligkeit! Und vor allem: die Angst vor den Schwangerschaften. Die Verzweiflung, wenn es wieder einmal soweit war: Mir ist heute so entsetzlich bange, schreibt Emilie 1852 ihrem Mann, daß ich, obgleich ich nicht einmal weiß, wo meine Gedanken Dich suchen sollen, doch einige Worte an Dich richten muß. Seit gestern weiß ich durch die Jung mein Schicksal u. da ich Dir nichts vorlamentieren will, so will ich Dir nicht beschreiben, wie mir seitdem zu Muthe ist. Aber ich bin trostlos! (…)« Einfühlsam beschreibt Jens »die Angst vor dem Kindbett, die Betrübnis über ungewollte Schwangerschaft, deren Konsequenzen allein, ohne ständig-verläßlichen Beistand, durchgestanden sein müssen: Da wird die Trostlosigkeit der Frau in der Mitte des Jahrhunderts mit ähnlichen Worten beschrieben wie an dessen Anfang in den Briefen Bettinas an Achim von Arnim. Geboren und gestorben: Gestern abend um 7 Uhr hat der liebe Gott unseren kleinen Neugeborenen wieder zu sich genommen (…) Gewiß ist das Kind ein Stück vom Herzen der Mutter, denn es wehrt und sträubt sich sehr (…) Gestern Nachmittag erhielt der Kleine die Nottaufe, Fournier war sehr liebevoll, sprach schön und betete auch für den fernen Vater. Unser Kind wird am Sonnabend Nachmittag beerdigt; ich wollte es nicht öffnen lassen, nun der liebe Gott es genommen, ist es ganz gleich.« So liebevoll Jens hier Emilie zu Wort kommen läßt, so skeptisch verfährt er mit dem Herrn des Hauses Fontane: »Und der Kommentar Fontanes zu Emilies Schwangerschaften, Geburten und Wochenbettplagen? Mißglückte Kalauer, mehr nicht: Nur keine allzu elenden Würmchen: es ist eine Art Ehrensache; also nimm Dich zusammen und tu das Deine. Man schreibt mir sonst noch auf den Grabstein: seine Balladen waren strammer als seine Kinder. Und dann: Also doch wieder ein Junge! Es scheint, daß wir auf Mädchen verzichten müssen und wir wollen uns auch weiter keine Mühe damit geben; das weibliche Geschlecht verdient es nicht einmal (…) Wenn Du nur Regelmäßigkeit in die Sache brächtest! Erst mit dem Kopf zuerst, dann mit den Beinen; nun gar mit dem Allerwerthesten; wohin soll das schließlich noch führen? Verwunderlich zu lesen, in der Tat, diese Passagen: Der Mann, der sonst einen untrüglichen Sinn für Entsprechungen zwischen der Situation und ihrer kongruenten Darbietung in Wortwahl und Syntax hatte und den Begriff der Angemessenheit zu einer poetischen Zentralformel erhob, die nicht zu beachten den Schriftsteller unweigerlich scheitern ließ – ausgerechnet Fontane verstößt, sobald der Alltagsbereich der Frauen berührt wird, gegen eigene Maximen. Im Salon, in der guten Stube war er zu Hause – Besen und Windeln aber oder Gespräche zwischen einer Hebamme und einer Schwangeren (die einen Unterirdischen oder einen kleinen Engländer auszutragen hatte) konnte er beim besten Willen nicht beschreiben, als Epistolograph ebensowenig wie im Alter, als Romancier.« Lesen Sie dazu auch: <br> |