Juni 2002 - Ausgabe 38
Essen, Trinken, Rauchen
Literatur im Le Cochon Bourgeois von Michael Unfried |
Routinemäßig hatte man 150 Einladungen verschickt. Und etwa 150 Zusagen kamen zurück. Da mußte man glatt ein Drittel wieder ausladen, denn so groß ist das Le Cochon Bourgeois in der Fichtestraße nicht. Damit hatte man im Suhrkamp Verlag beim besten Willen und bei aller Hochschätzung des Autors nicht rechnen können: daß man in Berlin-Kreuzberg so neugierig sein würde auf Peter Paul Zahl. Oder auf das Le Cochon Bourgeois. Denn natürlich war es Berechnung, vielleicht Bestechung, wenn man auf der Einladung zur Buchpräsentation en passant das 5-Gänge-Menü erwähnte. Aber der Glaube, dem französischen Lokal könne ein derart guter Ruf vorauseilen, daß selbst gelangweilte Kulturredakteure und bleichgesichtige Literaturkritiker sich auf den Weg machen würden, wäre vermessen gewesen. Doch so geschah es, daß sich pünktlich um sieben die Presse im Le Cochon Bourgeois einfand. Einige gut gekleidete Herren mit gut gekleideten Damen an der Seite, ein paar ältere Einzelgänger, ein Paparazzi der Bildzeitung, die den seit der Biolek-Sendung hoffähig gewordenen Peter Paul Zahl vorübergehend von der Fahndungsliste gestrichen hat, das bekannte Gesicht eines Fernsehmoderators vom ORB, sowie ein oder zwei wichtige Damen im Alleingang und immerhin zwei zwielichtige Typen in Lederjacken. Sie alle versammelten sich um die fünfzehn runden Stehtische mit den Kerzenständern in der Mitte, standen neben dem Klavier und neben dem Tresen, verstopften die Tür oder den Weg zur Toilette. Sie hielten Sekt oder Weingläser in den Rechten, grüßten nach allen Seiten, wippten während des Redens auf den Fußspitzen, kraulten sich am intellektuellen Bart oder strichen mit einer Fingerspitze behutsam über die ergrauten Schläfen. Die Frauen lachten und strahlten, als wäre Weihnachten. Der Abend schien ein gemütlicher und intimer zu werden, und wer sich noch nicht kannte, der hatte hier und heute die Möglichkeit, kennengelernt zu werden: »Da sind wir ja schon seit ewigen Zeiten Nachbarn«, rief ein Herr während des parallelen Wasserlassens, »Wieso?« – »Na klar, ich wohne doch Ecke Thomasiusstraße! Wo die Barbara Sichtermann wohnt. Bei der hänge ich doch ständig rum!« Einige andere Redakteure hatten, den Gesprächen zufolge, ihre Pflichtlektüre absolviert und im Domraub gelesen, den der Verlag mit den Einladungen verschickt hatte. Und wer nicht gelesen hatte, der konnte zumindest etwas zur Tradition des Schelmenromans zum Besten geben. Dann wurden am Tresen zwei Weinkisten zusammengeschoben, ein Herr von Suhrkamp versuchte zu scherzen und vergaß nicht, auch auf das »bürgerliche« Lokal hinzuweisen, das sich der »bürgerliche Verlag« ausgesucht habe. Dann bestieg der Autor das improvisierte Podest und berichtete von der Entstehung seines Romans. Seine Rede war ebenso schelmisch wie ernst, es war eine gute und überlegte Rede, und sie währte nicht sehr lange. Dennoch nutzte man an den Tischen die Gunst der Minuten, einen scheinbar flüchtigen Blick auf die Speisekarte zu werfen: Da glänzten die Augen im Kerzenschein: »Fromage blanc de chevre et mousse d’aubergines – Aspic d’écrevisses et salad fenouil – Rouget barbet poêle sur risotto au safran – Boulette de veau et lentilles noires – Joues de boeuf braisée à la Bourguignonne – Mousse pralinée. Und während sich der Abend dahinzog, die gutgelaunten Kellner mit den kleinen Tellerchen voll großer Köstlichkeiten von Tisch zu Tisch gingen, die Kellnerinnen Wein, Sekt und – auf Wunsch – auch einmal ein Bier reichten, lachte hinter dem Tresen vom Gemälde das bürgerliche Schwein. Ein mit dem Wirt befreundeter Maler hat einem gutgenährten Mann mit Anzug und Krawatte einen feisten Schweinskopf aufgesetzt. Womöglich, meinte der Typ in der Lederjacke, litt der Maler unter Visionen. <br> |