Kreuzberger Chronik
Juli / August 2002 - Ausgabe 39

Der Kommentar

Der Sprung ins teure Naß


linie

von Ulf Mailänder

1pixgif
Vor dem ersten Schwimmbadbesuch wettete ich mit meiner Frau. Sie sagte »dreifünfzig« und verlor. Vier Euro, wie befürchtet, kostet jetzt die Einzelkarte. Dauerkarten für Vielschwimmer? Abgeschafft. Mein alter Bekannter Wolfgang, frisch habilitierter Akademiker, Mitte Vierzig und fast täglich ab sechs Uhr mit 1000 Metern dabei, flucht: »Wenn ich die Schwimmgewohnheit beibehalte, kostet mich die Saison 1200 Mark.« Aber wo der Preis nach oben geht, geht die Qualität natürlich runter. Wer seinen Umkleideschrank abschließen will – und wer will das nicht! –, darf ab sofort das Schloß selbst mitbringen.

Im Zeitalter der verblichenen D-Mark war das Schwimmen noch halbwegs erschwinglich. 5 Mark kostete im Prinzenbad der Eintritt mit Zehnerkarte, die Dauerkarte für das heiße Vierteljahr 180 Mark. Auch das war schon happig verglichen mit den Preisen der Achtziger, als der Eintritt 2 Mark und die Dauerkarte 50 Mark kosteten – soviel wie jetzt sechs Einzelscheine. Inflationsmäßig eine Preissteigerung von 300 Prozent, Vielschwimmer können je nach Nutzungsgrad eine Null dranhängen. Sogar das beste private Fitnesstudio ist im Vergleich günstiger.

Wolfgang versucht es mit Humor: »Jede Bahn für zwanzig Cent – je mehr man schwimmt, desto billiger wird es.« Und ein weiterer Vorteil: Vor zehn Jahren war das Bad brechend voll, jetzt gibt es auch an heißen Sommertagen auf der großen Liegewiese reichlich Platz. Außerdem ist das Prinzenbad noch vergleichsweise billig. Im Spreewaldbad kostet die Stunde 5 Euro, der Tag 7 Euro.

Doch es regt sich Widerstand. Im Prinzenbad liegt eine Unterschriftenliste aus, schon haben Tausend ihre Namen unter das Papier gesetzt, und täglich werden es mehr. Der Bademeister ist erleichtert, daß der Unmut unter den zahlenden Gästen ein anderes Ventil findet als ausgerechnet ihn, der so wie seine Kollegen das leere Bad bei schönstem Sonnenschein bedauert und sich allmählich um den Arbeitsplatz sorgt.

Wer solche Preise politisch zu verantworten hat, muß blind sein oder böse Absichten haben. Die Biographien der Manager bei den Berliner Bäderbetrieben lassen erahnen, daß sich hier Ungutes aus Ost und West vereint hat: Alter Westberliner Filz an der Spitze (Lepinski, der Vorstandsvorsitzende der Bäderbetriebe, war einst Sanierer bei der BVG), mit Stasiseilschaften in zweiter Reihe (der Regionalverantwortliche für Kreuzberg ist ein ehemaliger NVA-Luftwaffenoffizier). Schon Mitte April hatte Lepinski in der Abendschau verlauten lassen, daß mit den neuen Tarifen Rückgänge bei den Besucherzahlen bewußt in Kauf genommen würden. War das der politische Abschied vom Schwimmen als Volkssport und Freizeitvergnügen für jedermann? Sicher ist, daß die senatsintern geregelte Preispolitik der BBB eines Tages jene Zahlen in den Bilanzen liefern könnte, die zur Begründung für eine endgültige Schließung der Bäder herbeizitiert werden.

Fernsehen und Asphaltmief für die Armen, Outdoor-Wellness für die Reichen – das kann nicht gutgehen. Die Kreuzberger gelten zu Recht als aufmüpfige Bevölkerung – ihre Badeanstalten werden sie sich ohne weiteres nicht nehmen lassen. Vielleicht wird sich das Volk an einem heißen Tag zusammenrotten, den Zaun niederreißen und sich nehmen, worauf es ein Recht hat: Abkühlung.

Bis dahin bleibt jedoch ein kleiner Trost für den Prinzenbad-Besucher: In das übliche Lautsprechergebell – »Räumen Sie die Wiese. ES IST FEIERABEND« – mischen sich an manchen Tagen ungewohnt freundliche Töne. Eine Dreiviertelstunde, bevor das Bad bei hellstem Sonnenschein schließt, wünschen jüngere Bademeister sogar einen angenehmen Nachhauseweg. Wer schon Preise wie auf der Wellness-Farm zahlt, will schließlich keine Töne wie auf dem Kasernenhof hören. <br>

zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg