Februar 2002 - Ausgabe 34
Die Reportage
Mit dem Gerichtsvollzieher auf Tour durch Kreuzberg von Gabriele Bärtels |
Graefestraße. 3. Stock. Der Schlosser kniet am Boden, neben sich die schwere Werkzeugtasche. Er zieht den Bohrer heraus und setzt die Spitze direkt auf das Schloß. Hinter ihm im Hausflur warten: eine Zeugin, der Mann von der GASAG und Frank Deuse, Obergerichtsvollzieher. Er beugt sich vor und klopft heftig gegen die Tür. Stille. »Nich, dasser wieder hängt.« Er gibt dem Schlosser ein Zeichen und der bohrt los. Das geht ihnen heute noch nahe, dem Obergerichtsvollzieher, dem Schlosser und der Zeugin. Letzte Woche haben sie einen gefunden, der hat den Strick genommen. »Der hing so komisch in den Knien, da wußte ich gleich, was los ist.« Den kannte Herr Deuse schon. »Er sollte geräumt werden und einen Platz im Obdachlosenheim kriegen. Aber da hat er nicht hingehört.« Das war einer von denen, die Frank Deuse am häufigsten besucht. Männer. Alleinstehende Männer. »Die Verschütteten der Stadt« nennt er sie. »Es ist die Einsamkeit. Ihnen fehlt der Kontakt zur Außenwelt. Dann kriegen sie die einfachsten Sachen nicht mehr auf die Reihe.« Die Tür steht offen. Der Schlosser tritt zurück. Gammelige Luft kommt ihm entgegen. Man meint, sie müsse eine gelbbraune Farbe haben. »Ich sag mir immer, ich muß ja nichts anfassen. Meine Nase ist nicht so empfindlich«, sagt Herr Deuse und tritt ein. Der Mann von der GASAG folgt ihm. Der Zähler soll ausgebaut werden. »Da freut sich der Zähler aber, daß er hier rauskommt«, sagt Herr Deuse und sieht sich um. Den Mieter, den er hier nicht vorfindet, kennt er schon seit zehn Jahren. Der nächste Termin wäre die Räumung gewesen. Aber hier war schon lange niemand mehr. Der gewellte Billigteppich im Wohnzimmer ist voller Brandlöcher, eine vergilbte Zeitung aus dem letzten Jahr liegt daneben, eine ausgetrocknete Kaffeetasse. Vergilbt und verdreckt ist auch die Küche, nichts im Kühlschrank außer Schimmel, das Wasser im WC ist verdunstet, im Flur zusammengeknüllte dreckige Wäsche, ein Brief vom Sozialamt, ungeöffnet. »Der ist weg.« 27 Jahre Berufserfahrung. »Man lernt zu sehen, wer ein Schlawiner ist und wo echte Armut herrscht. Mal braucht es die harte Tour, dann wieder Verständnis. Manchmal gibt es Schulden, durch Scheidung oder Konkurs, die kann man gar nicht abbezahlen.« Herr Deuse läßt auf dem Tisch des Schuldners eine Benachrichtigung liegen, der Schlosser baut das Schloß wieder ein, so daß man die Bohrung nicht mehr sieht, die Zeugin, eine junge Frau, die für diese Tätigkeit DM 20 in der Stunde erhält, geht die Treppe hinunter, der Mann von der GASAG trägt den ausgebauten Zähler. Die Tür fällt zu. Frank Deuse ist 55 Jahre alt. Schlank, in Jeans und Sweatshirt, über dem Schnurrbart wache Augen. Er erzählt gern. »Da empfängt doch neulich ein Kunde die Kollegin völlig nackt. Er hatte sich nur eine Schlangenhaut um die Schultern gelegt, und vor seinem Teilchen hing eine Maske. Das Geld hatte er parat.« Bis 1990 war der Beruf des Gerichtsvollziehers eine Männerdomäne. »Als Frau stehst du dann auch an der Front. Wenn nun doch mal einer zu Hause ist, mit dem Messer hinter der Tür steht? Aber die Frauen machen das sehr gut.« Noch drei Gaszähler sind auszubauen. Gleich auf der anderen Straßenseite in einem türkischen Restaurant sucht der GASAG-Mann die Apparate vergeblich, und Herr Deuse stellt fest, daß der Besitzer gewechselt hat. Dessen Frau steht am Herd und guckt stumm. Nach ergebnisloser Suche und einer türkischen Teepause verabschiedet man sich freundlich voneinander. Die vierte Zählerentfernung. Mehringdamm. Ein junger Mann, auch er nicht anwesend. Zur Arbeit, im Urlaub? Die Wohnung ist sauber, Bodybuilding-Geräte und ein breiter Spiegel im Wohnzimmer erzählen alles über den Besitzer. »Der ist noch nicht so weit«, sagt Frank Deuse. Riehmers Hofgarten. Eine Wohnungsräumung. Die Spedition wartet schon auf dem Hof. »Das ist die Firma meines Vertrauens. Da fehlt nix, wenn die fertig sind.« Der Hausmeister, ein Vertreter der Hausverwaltung, fünf Möbelpacker, der Schlosser, die Zeugin, Herr Deuse vorneweg. Der Hausflur ist halbdunkel. Fäuste hämmern gegen die dicke Tür. Der Schlosser schaltet seine Taschenlampe an. Herr Deuse sagt es gleich, nachdem er einen Fuß auf den dicken, weißen Teppich gesetzt hat: »Das ist keine Schuldnerwohnung.« Hundert Quadratmeter Helligkeit, tiefe Sofas, breite Betten, lange Vorhänge, Edel-Einbauküche. Champagner im Kühlschrank. Die Pflanzen vertrocknet, der Briefkasten ungeleert, die Staubschicht auf der Modellautosammlung. »Hier ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung.« Ob der Mieter im Ausland verunglückt, ob das hier nur eine Zweitwohnung ist, wieso einer, der Rechnungen in Höhe von einer halben Million Mark an einen Fernsehsender stellt, seine Miete nicht bezahlt hat … – Fragen über Fragen. »Das geht ihnen heute noch nahe.« Foto: Nikolaos Topp
Der Mann von der Hausverwaltung ruft seine Chefin an. Die besteht auf die Räumung. Sechstausend Mark wird es kosten, die Sachen abzutransportieren und einzulagern. Herr Deuse sieht die Briefe durch: »Wir stürzen uns wie die Geier auf jeden Konto-Auszug.« Die Möbelpacker nehmen ein Ölbild von der Wand, stellen das Sofa hochkant. Der Schlosser sitzt auf seinem Koffer und nickt ein. In einer Stunde ist aus einer Luxuswohnung ein Haufen Möbel geworden, selbst die Auslegeware wird eingerollt, die Einbauküche abgebaut. Sollte der Besitzer jemals zurückkehren, wird ein anderer Name an der Klingel stehen. »Hier ist etwas nicht in Ordnung«, sagt Herr Deuse wieder und schüttelt den Kopf. Geschichten über Menschen. Aber die Hauptrolle bleibt unbesetzt, nur das Hab und Gut erzählt. »In Berlin gibt es 300 Gerichtsvollzieher. Wir haben immer Konjunktur. Nach der Grenzöffnung haben die Leute aus dem Osten die Möbelkataloge rauf und runter bestellt. Jetzt werden wieder die Mieten teurer.« Ein Haftbefehl soll vollstreckt werden. Seit drei Jahren hat Ecki seinen Personalausweis von der Meldestelle nicht abgeholt. Nun soll er in Erzwingungshaft. Drei Tage. Damit er nicht davonläuft, schiebt Frank Deuse die Zeugin vor, die soll sich durch die Sprechanlage melden. Yorckstraße, zweiter Stock. Den Pappenheimer kennt Herr Deuse. »Das ist ein ganz verhuschtes Kerlchen. Der hat mal auf dem Bau gearbeitet, später versuchte er, eine Firma zu gründen und blieb mit 100 000 DM Schulden zurück. Nun gibt er eine kleine Sportzeitung heraus. Darin geht er völlig auf. Läuft alles auf den Namen des Bruders. Ecki verdient nichts daran, geht nicht zum Sozialamt und bringt es in drei Jahren nicht fertig, sich den Ausweis abzuholen.« Ecki öffnet. Klein, verbogen, dicke Brille. Die Wohnung sieht aus wie ein Büro, er sitzt hinter seinem Schreibtisch, Hände vor dem Mund. Nun soll er mit, in die Friesenstraße. Von der Haft sagt Frank Deuse nichts. Ecki steckt Zigaretten ein, ein bißchen Geld, zwei Paßfotos, »die gefallen mir aber nicht«, sitzt im Wagen wie ein Häufchen Elend, duckt sich hinter den Gerichtsvollzieher, als der für ihn die Formalitäten erledigt, und zuckt zusammen, als er nun eine Treppe tiefer zur Polizei gebracht wird, die ihn ins Gefängnis transportieren soll. Hektisch flüstert er mit Frank Deuse. »Kann man das nicht abwenden? Ich muß doch meine Zeitung machen.« Herr Deuse führt drei Telefonate. Transportkommando, Verwaltungsgericht, Einwohnermeldeamt. Die Seiten in der Urteilsbegründung werden hin- und hergeblättert. »Daß das abzuwenden ist, steht hier nicht drin.« Ecki sitzt auf einer Holzbank und knetet seine Hände. Aber dann darf er gehen. »Das kostet Sie noch einen Hunderter, das ganze Theater!« ruft Herr Deuse ihm hinterher. Als der kleine Rücken um die Ecke verschwindet, sagt Frank Deuse: »Daß da nicht mal einer hin ist, ihn einfach mitgenommen hat zur Meldestelle. Stattdessen drei Jahre Mahnungen und Urteile. Keiner fühlt sich verantwortlich. Die folgen nur noch den Buchstaben des Gesetzes und ihren Kompetenzgrenzen.« Es ist kurz vor vier. Er kommt zu spät zur Sprechstunde. Schlosser küßt Zeugin. Zeugin umarmt Obergerichtsvollzieher, tschüs, bis Montag. <br> |