Februar 2002 - Ausgabe 34
Herr D.
Herr D. und die Mieter von Hans W. Korfmann |
Herr D. war glücklich mit seiner Drei-Zimmer-Wohnung am Kreuzberg. Abends stand er am Fenster und betrachtete die Skyline der zwanzigstöckigen Plattenbauten Ostberlins, und nur die raketenähnliche Gestalt des Fernsehturms mit ihrer leuchtenden Kapsel auf der Spitze hinderte ihn daran, den gewagten Vergleich mit jenem Stadtteil zu ziehen, den er während der Studienzeit so oft besucht hatte: Manhattan. »Denn verglichen mit Bonn …«, sagte sich Herr D., »ist das hier schon was anderes!« Auch mit seinen Nachbarn war D. zufrieden. Lediglich Herr Mayer, ein arbeitsloser Arbeiter, stimmte ihn nachdenklich. Herr Mayer hatte gleich am 1. Tag seine Aufwartung gemacht. Er habe alles erdenkliche Werkzeug in seiner Wohnung, wenn D. einmal etwas benötige, »kein Problem!« – Aber D. hatte seine eigenen Zangen und Schraubenzieher aus Bonn importiert. Das hielt den Nachbarn Mayer nicht davon ab, D. bei den häufigen Begegnungen im Fahrstuhl jedes Mal erneut seinen Werkzeugkasten anzubieten. Als D. bemerkte, daß ihr Verhältnis mit der Zeit merklich abkühlte, und als er deshalb eines Tages klingelte und nach einer Rohrzange fragte, war es zu spät: Mayer überreichte ihm die Zange wortlos. Aber als er fast schon draußen war, fragte er Herrn D. doch noch etwas: »Was machen Sie eigentlich beruflich?« – »Ich bin Beamter!« – »So’n Lehrer also?« – »Nein, ich arbeite im Auswärtigen Amt!« – »Ach so. Naja …« Mayer zog dieses »Naja« bedeutungsvoll in die Länge, es klang, als habe er eine Erleuchtung. Eines Tages klingelte es, ein unbekannter Nachbar stand in der Tür: »Ich bin Eberhard aus dem Hinterhaus. Wir wollen uns am nächsten Montag zur Mietersitzung treffen. Ich wollte nur fragen, ob du Interesse hast, mitzumachen.« D. hatte eigentlich keine Lust auf Sitzungen in der Freizeit. Andererseits wollte D. kein Spießer sein. D. war jetzt Kreuzberger. Und Kreuzberg hatte eben seine Geschichte. Hier hatten die 68er ihr Biotop, ihr Refugium. Hier ging eben alles noch etwas altmodisch zu. Die besagte Kneipe war gleich an der Ecke und etwas finster. Erst nach einer Weile erkannte D. den vermeintlichen Mieterrat. Er war überrascht, denn er hatte mit fünf, nicht mit dreißig Nachbarn gerechnet. Eine großbusige Kellnerin begrüßte Herrn D. mit den Worten: »Und du, Kleener, willst jetzt sicher ooch noch ’n Bierchen, wa!« Dann setzte sie sich auf den Billardtisch, damit man ihre großen Dinger noch besser sehen konnte, stemmte das Tablett in die Seite und sagte: »Kinder, Kinder, könnt ihr nicht endlich lernen, eure Bestellung gemeinsam aufzugeben!« D. suchte sich einen Platz in der Ecke, gegenüber saß sein Freund Mayer. Er nickte ihm freundlich zu, und Mayer nickte zurück. D. überlegte, ob er ihn vielleicht um seine Bohrmaschine bitten solle, aber da ergriff Eberhard das Wort: »Für die, die mich noch nicht kennen: Ich bin Eberhard …« Und Eberhard hatte beschlossen, die Hausverwaltung mit der möglichst geschlossenen Front ihrer Mieter zu konfrontieren, um den häßlichen Zementgarten in einen duftenden Kleinpark zu verwandeln. Dazu müsse ein Rat gebildet werden, demokratisch über die Gestaltung der hauseigenen Grünanlage entschieden und eine Delegation zur Verwaltung entsandt werden. Herr D. hielt sich zurück. Erst, als die Mieter allmählich von dem großen Entwurf abrückten und auf ihre Alltagssorgen zu sprechen kamen, das klemmende Kellerschloss und die überfüllten Mülltonnen, und als Nachbar Mayer das fachmännische Wort ergriff und von Muffen und Steigrohren zu berichten wußte, schaltete sich auch D. ein: »Das stimmt, das Wasser fließt nicht richtig ab.« Mayer warf D. in seiner Ecke nur einen kurzen Blick zu und wandte sich wieder an die breite Mehrheit: »Kein Wunder, daß die Rohre verstopfen, wenn diese Bonner Bürokraten jeden Morgen ihren Kaffeesatz in den Ausguß schütten!« – Bonner Bürokraten? Plötzlich ruhten alle Blicke auf Herrn D. Mayer hatte sich gerächt. <br> |