Kreuzberger Chronik
Dez. 2002/Jan. 2003 - Ausgabe 43

Strassen, Häuser, Höfe

Dudenstraße


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von Werner von Westhafen

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Im Geleit zur Denkschrift anläßlich des 150. Geburtstages von Konrad Duden heißt es: »Über die Person des Begründers der deutschen Einheitsrechtschreibung ist allerdings selbst in seiner Geburtsstadt bisher noch viel zu wenigen etwas bekannt.«

Auch 23 Jahre nach seinem 150. Geburtstag ist in den Berliner Bibliotheken über Konrad Duden nicht viel mehr zu finden als eben diese kleine Schrift des Vereins »Historische Vereinigung Wesel«. Obwohl kein deutschsprachiges Buch erschienen ist, das sich nicht auf Dudens Arbeit stützte, obwohl kein deutschsprachiger Autor ein Buch geschrieben hat, ohne auf dieses Wörterbuch zurückzugreifen, und obwohl der sogenannte »Duden« ein ebenso großer Verkaufsschlager ist wie die Bibel, in immer umfassenderen Ausgaben erschien und heute über 120000 Wörter erfaßt hat.

Womöglich rührt das mangelnde Interesse an Konrad Duden von dem Vorurteil her, daß diese Sammlung von Worten eher die Fleißarbeit eines Bürokraten als das Werk eines genialen Geistes sei. Zudem sind Sammler nicht selten verschrobene Naturen, pedantisch und für jene, die sich in ihrem Metier nicht auskennen, eine eher langweilige Gesellschaft.

Konrad Duden scheint da keine Ausnahme zu machen. Schon Großvater Duden hatte einen ausgeprägten Sinn fürs Akribische und verbrachte einige Jahre seines Lebens mit der Aufgabe, ein umfassendes Inhaltsverzeichnis des Weseler Stadtarchivs zu verfassen. Bis heute soll die geduldige und gewissenhafte Arbeit des Archivars aus dem Jahre 1791 eine genaue Übersicht über die alten Aktenbestände ermöglichen. Auch Konrad Dudens Vater ließ sich auf keine großen Abenteuer ein und gab die Branntweinproduktion und das 10 Morgen große Gut, das seine Frau mit in die Ehe gebracht hatte, schon bald wieder auf, um in gemütlicher Position als Registrator und Kanzleischreiber den Lebensunterhalt für die Familie zu sichern.

So machte auch der »Vater der deutschen Rechtschreibung« zuerst einmal durch die Tugend der Geduld auf sich aufmerksam. In seinem Abiturzeugnis ist vermerkt, daß der Abiturient Duden bei »guten Anlagen stets einen lobenswerten Fleiß gezeigt« habe. »Sein deutscher Stil ist korrekt und zeugt von Nachdenken.« Seine Kenntnis der Literatur allerdings war nur befriedigend, und auch sonst zeigte sich der Schüler eher durchschnittlich als begabt. »Seiner zarten Gesundheit« wegen »als ganz untauglich« gemustert, verlor er jedoch keine unnötige Zeit beim Militär, sondern begab sich unverzüglich zum Studium nach Bonn, um Germanistik, Geschichte und alte Sprachen zu studieren. Doch schon nach vier Semestern brach er das Studium ab, um in Frankfurt am Main als Hauslehrer sein erstes Brot zu verdienen. Das dem jungen Mann zugeneigte Schicksal wollte es, daß der hauseigene Pädagoge mit der Familie des Senators Dr. Souchay Reisen nach England und in die Schweiz unternehmen konnte, was ihm das praktische Studium des Englischen und Französischen ermöglichte.

1854, sechs Jahre nach dem vorzeitigen Abgang von der Universität, wird Duden zur Lehramtsprüfung zugelassen, obwohl ihm genaugenommen zwei Semester dafür fehlen. Der zarte Konrad Duden aber schien es zu verstehen, die jeweils richtigen Leute für sich zu gewinnen. Und obwohl ausgerechnet die Kenntnisse der deutschen Grammatik des späteren Rechtschreibspezialisten bemängelt werden, hält man Dudens Kenntnisse doch für befriedigend genug, um ihm eine bedingte Lehrbefugnis zu erteilen. Vorerst allerdings nur für Französisch und Propädeutik, zwei Fächer, die im Lehrplan an zweiter Stelle standen. Doch während Duden nun als Referendar an der Schule von Soest ein wenig unterrichten durfte, arbeitete er weiter an seiner Karriere und reichte schon nach kurzer Zeit seine Dissertation über Sophokles’ Antigone ein. Duden erlangte den Doktortitel, ohne überhaupt in die mündliche Prüfung zu müssen. Angesichts seiner stets nur befriedigenden Zeugnisse sicherlich der richtige Weg.

Auch bei der Wahl seiner Ehefrau bewies Duden Geschick. Sie war, den alten Fotografien nach zu urteilen, nicht die Schönste im Land, doch die Tochter eines preußischen Konsuls in Italien, und darüber hinaus eine charmante und redegewandte Frau der Gesellschaft. So war es nicht weiter verwunderlich, daß die Familie Duden schon bald eine Dienstwohnung im Haus des Schuldirektors erhielt, und daß Konrad bald zu dessen Stellvertreter ernannt wurde. Auch wenn ein Kollege ihn vor allem als »einen Mann von Eifer und gutem Geschick« bezeichnete, dem jedoch »der allerdings nicht leichte deutsche Unterricht (…) noch viel Mühe zu machen« schien. Vierzig Jahre ist Duden alt, als er selbst zum Direktor des Gymnasiums in Schleiz wird, wo er nun endlich auch Griechisch und Latein unterrichten darf.

Damit war der Tag gekommen, an dem sich Konrad Duden intensiver mit der schwierigen deutschen Sprache befassen mußte. Denn laut Erlaß des preußischen Kultusministeriums sollte, wenn schon nicht im gan-zen Land, so doch zumindest innerhalb der jeweiligen Schulen eine einheitliche Rechtschreibung gelten. 1871 verfaßte Direktor Duden deshalb seine Anweisungen »Zur Deutschen Rechtschreibung«, die, wie damals üblich, zusammen mit dem Jahresbericht auch an die anderen Schulen des neuen Reiches versandt wurde. Ein Jahr später brachte er sein erstes Büchlein heraus: »Die deutsche Rechtschreibung. Abhandlung, Regeln und Wörterverzeichnis. Für die oberen Klassen höherer Lehranstalten und zur Selbstbelehrung für Gebildete«. Er propagierte darin eine freiere, nicht mehr streng historische, sondern sich nach der Phonetik richtende Schreibweise. 1876 verteidigt Konrad Duden seine Schrift auf der Rechtschreibkonferenz in Berlin, die zum Ziel hatte, Bismarcks frisch gegründetes Reich durch eine einheitliche Orthographie in sämtlichen Ländern zu manifestieren. Doch eine wirkliche Einigung konnte am Verhandlungstisch nicht erzielt werden. Zu sehr hingen die Provinzen an ihren alten Schreibtraditionen. 1890 erschienen dann beinahe gleichzeitig das »Vollständige orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache« von Konrad Duden und »Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung zum Gebrauch in den preußischen Schulen« des Germanisten Wilmanns. Damit standen sich die Verfechter zweier vollkommen unterschiedlicher Schreibweisen gegenüber. Doch schon innerhalb we-niger Jahre hatte sich Dudens benutzerfreundliche Orthographie durchgesetzt, und als sich 1892 auch die deutschsprachige Schweiz der Dudenschen Rechtschreibung anschloß, geriet Wilmanns Werk schnell in Vergessenheit.

Von nun an waren es nicht mehr die alten Sprachen und das Französische, von nun galt Dudens »Leidenschaft« allein dem Deutschen. Auch nach seiner Pensionierung widmete sich der inzwischen berühmt gewordene Schuldirektor – neben der Gründung eines »Geselligkeitsvereins« oder eines Vereins »gegen Armut und Bettelei« oder eines »Allgemeinen Bildungsvereins« – vor allem der Überarbeitung der bereits neunten Auflage jenes Buches, das bis heute seinen Namen trägt. Und auch wenn längst nicht mehr alle jener Regeln, die der Schuldirektor vor 120 Jahren festschrieb, erhalten geblieben sind: Der Duden ist, trotz Rechtschreib-reform, noch immer der Duden geblieben.

Literaturnachweis: Drosdoswski, Gliss, Metzmacher, Konrad Duden aus Wesel, 1979, Historische Vereinigung Wesel e.V. <br>

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