April 2002 - Ausgabe 36
Die Geschäfte
Borsellini e Vini von Jürgen Jacobi |
Es gibt sie noch. Meist liegen sie in kleinen Seitenstraßen, der billigeren Ladenmiete wegen. Aufgeschreckt durch Sinneseindrücke, die so gar nicht in unsere Straßenerfahrungen passen, bleiben wir für einen Moment stehen. Seltsame Geräusche dringen ins Ohr, Klopfen und Sägen, Hämmern und Surren. Geschulte Nasen signalisieren das Vorhandensein von Leim oder Eichenharz, Bienenwachs und Leder. Was uns über diese flüchtigen Eindrücke hinaus aber wirklich innehalten läßt, ist der erstaunte Blick durch Schaufensterscheiben, hinter denen sich Außergewöhnliches abspielt: Vor unseren Augen fertigt ein Mensch mit bloßen Händen eine Ware an. Wir stehen vor einem echten Handwerkerladen. Wenn dieser Handwerker an warmen Sommertagen auch noch die Tür offen stehen hat, und sich neben handgefertigten Lederbörsen noch feinste Rotweine zum Kauf anbieten, dann handelt es sich zweifelsohne um Jürgen Bachmanns kleinen Laden in der Baerwaldstraße. Also eingetreten, was sonst! Handwerker Bachmann kommt sofort zur Sache. »Meine Kunden nennen mich den Mann mit dem Hammer.« Das trifft es am besten. Obwohl dieser Titel schon etwas verwundert, denn bei biegsamem, weichem Material wie Kalbsleder ist eigentlich nicht einzusehen, wozu die rohe Kraft eines Schmiedes nötig sein soll. Bei längerem Zusehen wird aber deutlich, warum der Hammer ein ganz wesentliches Werkzeug bei der Herstellung von Lederbörsen ist. Sobald die Lederhäute in lange Streifen geschnitten sind und mit Stanzmaschine und Stanzform der Grundriß hergestellt worden ist, bedarf es außer dem Hammer eigentlich nur noch weniger Werkzeuge, um die Geldbeutel, Handytaschen oder Dokumentbörsen herzustellen. Neben Spindelpresse, Nieten und Nietzange ist dann nur noch Zwirn, Nadel, Ahle und Wachs vonnöten. Wachs? »Ja, um den Faden zu wachsen. Der ist nämlich aus drei Fäden verdrillt und kann sich nach dem Einwachsen nicht mehr aufdrehen. Außerdem wird er elastischer und rutscht beim Nähen besser durchs Leder.« Auf einem groben Hackstock, den der Handwerker jetzt mit den Knien eingeklemmt hat, liegt ein gummigepolstertes Brett. Darauf liegt der große Hammer, auf dessen Seitenfläche wiederum der vorgefertigte Lederrohling mit den eingeprägten Linien der zukünftigen Falten. Entlang dieser Nutlinien, die gleichzeitig mit dem Stanzen entstehen, faltet Jürgen Bachmann das Leder und bearbeitet es mit einem zweiten, etwas kleineren Hammer, bis das tierische Material in der gewünschten Position bleibt. Es ist eine sanfte, aber beharrliche Gewalt, die er ausübt. Die Bezeichnung »Lederschmied«, wie ihn seine Kunden auch nennen, bringt das Zusammenwirken von Biegsamkeit und Härte auf den poetischen Begriff. Aber warum ausgerechnet die Liebe zum Leder? Foto: Nikolaos Topp
»Ich bin in allen Dingen Autodidakt. In der Freizeit habe ich mich dem Leder zugewandt. Da hatte ich dann die Idee, Leder ohne Maschinen in Form und Faltung zu bringen, nur mit den Händen. Für meine ersten Stücke schäme ich mich heute noch. Aber Übung macht den Meister. Und jetzt mache ich das schon 20 Jahre.« Das Leder, die Hälfte einer ganzen Kalbshaut, bekommt er gegerbt und gefärbt in 15 Farbtönen aus Italien. Ach ja, überhaupt Italien, das Land mit der handwerklichen Tradition und dem Sinn für die schönen und schmackhaften Dinge des Lebens hat es ihm besonders angetan. Bei der Erwähnung von bella Italia fällt der Blick natürlich auf die in verlockender Nähe zum Arbeitsplatz aufgereihten Weinflaschen. Ihre Nähe zu den gleichermaßen schönen wie profanen Geldbörsen ist jedoch weder Stilbruch noch Zufall. Zwar gibt es die Lederwaren schon einige Jahre länger im Laden, aber eigentlich ist Jürgen Bachmann erst durch sie auch zum Weinhändler geworden. »An den Wein bin ich gekommen, als ich bei Ledereinkäufen in Italien auf ein Weingut in der Toskana geraten bin. Natürlich haben die sich für meine Lederwaren interessiert. Die Toskaner zeichnen sich ja durch eine hohe Ästhetik und eine fast religiöse Integrität in Bezug auf ihre handwerklichen Tätigkeiten aus. Wir haben dann ein paar Kisten Wein gegen Lederwaren getauscht. So ging das einige Jahre. Bis mich der Weinbauer an einem lauen Sommerabend nach der zweiten Flasche Vernaccia gefragt hat, ob ich nicht Lust hätte, seine Weine in Berlin einzuführen.« Die Arbeit am groben Holzstock hat er bei dieser Erklärung längst unterbrochen und eine Flasche Chianti entkorkt. In einem großen Glas schwingt der rubinrote Tropfen und Bachmann weist auf die öligen Schlieren hin, die der Wein am Glas hinterläßt. Wer jetzt anerkennend das Haupt wiegt, den wird der Handwerker und Weinkenner mit sanfter Überzeugungskraft vielleicht noch in den Weinkeller bitten. Der liegt weder in kühler, toskanischer Erde, noch weist er Säulenbögen in Naturstein aus, aber den typischen Geruch von Weinkellern findet man auch hier. Bachmann nimmt eine Flasche und läßt sie zum Erschrecken des Besuchers zu Boden fallen. Der ansonsten sanftmütig wirkende Handwerker lächelt verschmitzt. »Keine Sorge, der war umgekippt. Aber riechen Sie mal, dadurch entsteht der typische Geruch eines Weinkellers.« Da kann der Besucher nur noch zustimmend nicken. <br> |