September 2001 - Ausgabe 30
Die Geschichte
Das Patentamt (1) - Das Archiv der Geistesblitze von Jürgen Jacobi |
Mit den großen Entdeckungen der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts und der wachsenden Zahl kleiner Tüftler und Bastler, die im heimischen Werkzeugschuppen immer Erstaunlicheres produzierten, wuchs allmählich die Erkenntnis heran, daß nicht nur Haus und Hof, sondern auch geistiger Besitz des Schutzes vor Räubern bedürfe. Es reichte jedoch nicht aus, den Erfindern das gesetzlich verbürgte Vorrecht der Anwendung und Vermarktung ihrer Idee zu garantieren. Die Ideen mußten zuvor geprüft und alsdann archiviert werden. Dazu brauchte man Platz und Personal. Kaiser Wilhelm veranlaßte daher durch eine Verordnung vom 18. Juni 1877 die Gründung des Kaiserlichen Patentamtes. Dieses bezog kurz darauf unter dem Leiter Dr. Leonhard Jacobi mit 30 Mitarbeitern Diensträume in der Wilhelmstraße 75. Eines von 18 nicht ständigen Mitgliedern war Werner von Siemens. Ein anderer hieß später Albert Einstein. Schon im ersten Halbjahr verbuchte man 3212 Anmeldungen, von denen jedoch lediglich 552 das Patent erhielten. Dennoch drohte das Archiv der Geistesblitze bald aus allen Nähten zu platzen, weshalb man 1891 größere Räumlichkeiten in der Luisenstraße bezog. Bereits 25 Jahre nach der Gründung des Reichspatentamtes war die Zahl der Mitarbeiter von 30 auf 565 angewachsen, während sich die Einnahmen auf beachtliche 5,25 Millionen Reichsmark beliefen. Doch auch der Neubau in der Luisenstraße konnte dem Ideenreichtum eines Tages nicht mehr standhalten. 1905 zieht das Patentamt in ein eigens errichtetes Gebäude auf dem Gelände der ehemaligen Garde-Kürassier-Kaserne in der Gitschiner Straße. Ein ruhiges Arbeiten der Beamten bis an ihr Lebensende wäre eigentlich zu vermuten gewesen. Doch all die blitzgescheiten Erfindungen konnten den Ausbruch des 1. Weltkrieges nicht verhindern, und während der Kriegsjahre 1918/19 kamen auch die verbliebenen Beamten des Patentamtes nicht um jeden Schrecken herum. Sie mußten sich »unter dem Knattern der Maschinengewehre und dem Platzen der Handgranaten auf Umwegen an das Amt heranpirschen, um dann in ihren Dienstzimmern zerschossene Fensterscheiben und von Kugeln durchlöcherte Akten vorzufinden«. 1919 wurde mit dem Abtreten des Kaisers das Kaiserliche Patentamt zum Reichspatentamt. Im selben Jahr belegt eine Statistik die deutsche Erfindungswut mit 902442 Patentanmeldungen seit der Gründung. Während die Erfinder der zwanziger Jahre nicht selten unter ärmlichen Bedingungen lebten und arbeiteten, feierte das Amt sein 50jähriges Bestehen ziemlich opulent: 500 geladene Gäste erfreuten sich an Hummer-Pastete, Kraftbrühe mit Rindermark, Steinbutt kalt mit Remouladensoße, Prager Schinken, Eisbombe Marie Louise und Käseplatte. An verdauungsfördernden Flüssigkeiten wurden pro Person eine Falsche Wein, Mokka, Likör und ein Bier gereicht. Foto: Nikolaos Topp
Eine weitsichtigere Entscheidung hatte der Direktor der Bibliothek getroffen, indem er 65000 Bände in ein Salzbergwerk nach Heringen an der Werra schaffen ließ. Diese 600 Meter unter der Erde gelagerten Bände sollten später einmal der Grundstock des neuen Patentamtes in München werden. In der Gitschiner Straße aber drängelten sich gegen Ende des Krieges Tausende deutscher Soldaten: Das Patentamt wurde zur Sammelstelle versprengter Wehrmachtsangehöriger. Wenig später zog die siegreiche Rote Armee ein, und die Not der Stunde machte aus dem Hort des Geistes ein Lazarett und einen Unterstand für die Armeepferde. Da sich nun Sieger in der Regel nicht damit zufrieden geben, auf erobertem Territorium die eigene Flagge zu hissen, wurde auf Anordnung eines Offiziers der komplette Satz der deutschen Patentschriften zum Abtransport bereitgestellt. Das Wertvollste jedoch wurde übersehen: die Kopien der 180000 in Strigau verlorenen Patentanmeldungen. Sie blieben unbeachtet im Keller liegen. Am 2. Juli 1945 tauchten andere Sieger auf. Die kauten zwar lässig chewing gum, aber sie verfügten über moderne Fotoapparate und gingen überraschend gründlich zu Werk. Ein gewisser Richard Spencer, Patentanwalt aus Chicago, war besonders fleißig und schickte monatlich 30000 Meter Mikrofilm in sein neugieriges Heimatland. Danach kam die Arbeit in der Gitschiner Straße faktisch zum Erliegen. Eine Wende trat erst ein, als Amerikaner und Briten mittels Proklamation im Februar 1948 dem deutschen Wirtschaftsrat das Recht zur Annahme und zum Erlaß von Gesetzen über Patente auf ihrem Kontrollgebiet überließen. Allerdings konnte keine Regelung gefunden werden, die auch das sowjetische Besatzungsgebiet miteinbezog. Deshalb nahm im Oktober 1949 das Deutsche Patentamt seine Arbeit in München auf, Berlin wurde dagegen zur »Zweigstelle« und übernahm die unbedenkliche Bearbeitung der Altschutzrechte. So litt auch das Berliner Patentamt der Nachkriegsjahre unter den unterkühlten Beziehungen der Siegermächte und spürte die frostigen Vorboten des Kalten Krieges. Erst mit Gorbatschow setzt politisches Tauwetter ein, und mit dem Schmelzwasser der einstigen Militärblöcke wird auch die Berliner Mauer weggespült. Die Deutschen kommen zu ihrer Einheit wie die Jungfrau zum Kinde. Gewichtige Persönlichkeiten rühmen sich der Vaterschaft. Wieder gibt es Gewinner und Verlierer. Das Patentamt mit seinem Doppelsitz in München und Berlin gehörte zu den Gewinnern. Ihm fiel mit dem 3. Oktober 1990 etwas ganz Besonderes in den Schoß: der gesamte Bestand des Patentamtes der DDR. Am 1. September 1998 wird in Jena eine Auskunftstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes eingerichtet. Im Jahresbericht 1999, also 50 Jahre nach seiner Wiedereröffnung, meldet das Deutsche Patentamt ein imposantes Ergebnis dieser gesamtdeutschen Tüftelei: 371816 Patente. Quellen:Deutsches Patent- und Markenamt, Jahresbericht 1999; DPA Forum, Heft 2/3, 1977 <br> |
Das Patentamt (1): Das Archiv der Geistesblitze von Jürgen Jacobi |
Mit den großen Entdeckungen der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts und der wachsenden Zahl kleiner Tüftler und Bastler, die im heimischen Werkzeugschuppen immer Erstaunlicheres produzierten, wuchs allmählich die Erkenntnis heran, daß nicht nur Haus und Hof, sondern auch geistiger Besitz des Schutzes vor Räubern bedürfe. Es reichte jedoch nicht aus, den Erfindern das gesetzlich verbürgte Vorrecht der Anwendung und Vermarktung ihrer Idee zu garantieren. Die Ideen mußten zuvor geprüft und alsdann archiviert werden. Dazu brauchte man Platz und Personal. Kaiser Wilhelm veranlaßte daher durch eine Verordnung vom 18. Juni 1877 die Gründung des Kaiserlichen Patentamtes. Dieses bezog kurz darauf unter dem Leiter Dr. Leonhard Jacobi mit 30 Mitarbeitern Diensträume in der Wilhelmstraße 75. Eines von 18 nicht ständigen Mitgliedern war Werner von Siemens. Ein anderer hieß später Albert Einstein. Schon im ersten Halbjahr verbuchte man 3212 Anmeldungen, von denen jedoch lediglich 552 das Patent erhielten. Dennoch drohte das Archiv der Geistesblitze bald aus allen Nähten zu platzen, weshalb man 1891 größere Räumlichkeiten in der Luisenstraße bezog. Bereits 25 Jahre nach der Gründung des Reichspatentamtes war die Zahl der Mitarbeiter von 30 auf 565 angewachsen, während sich die Einnahmen auf beachtliche 5,25 Millionen Reichsmark beliefen. Doch auch der Neubau in der Luisenstraße konnte dem Ideenreichtum eines Tages nicht mehr standhalten. 1905 zieht das Patentamt in ein eigens errichtetes Gebäude auf dem Gelände der ehemaligen Garde-Kürassier-Kaserne in der Gitschiner Straße. Ein ruhiges Arbeiten der Beamten bis an ihr Lebensende wäre eigentlich zu vermuten gewesen. Doch all die blitzgescheiten Erfindungen konnten den Ausbruch des 1. Weltkrieges nicht verhindern, und während der Kriegsjahre 1918/19 kamen auch die verbliebenen Beamten des Patentamtes nicht um jeden Schrecken herum. Sie mußten sich »unter dem Knattern der Maschinengewehre und dem Platzen der Handgranaten auf Umwegen an das Amt heranpirschen, um dann in ihren Dienstzimmern zerschossene Fensterscheiben und von Kugeln durchlöcherte Akten vorzufinden«. 1919 wurde mit dem Abtreten des Kaisers das Kaiserliche Patentamt zum Reichspatentamt. Im selben Jahr belegt eine Statistik die deutsche Erfindungswut mit 902442 Patentanmeldungen seit der Gründung. Während die Erfinder der zwanziger Jahre nicht selten unter ärmlichen Bedingungen lebten und arbeiteten, feierte das Amt sein 50jähriges Bestehen ziemlich opulent: 500 geladene Gäste erfreuten sich an Hummer-Pastete, Kraftbrühe mit Rindermark, Steinbutt kalt mit Remouladensoße, Prager Schinken, Eisbombe Marie Louise und Käseplatte. An verdauungsfördernden Flüssigkeiten wurden pro Person eine Falsche Wein, Mokka, Likör und ein Bier gereicht. Foto: Nikolaos Topp
Eine weitsichtigere Entscheidung hatte der Direktor der Bibliothek getroffen, indem er 65000 Bände in ein Salzbergwerk nach Heringen an der Werra schaffen ließ. Diese 600 Meter unter der Erde gelagerten Bände sollten später einmal der Grundstock des neuen Patentamtes in München werden. In der Gitschiner Straße aber drängelten sich gegen Ende des Krieges Tausende deutscher Soldaten: Das Patentamt wurde zur Sammelstelle versprengter Wehrmachtsangehöriger. Wenig später zog die siegreiche Rote Armee ein, und die Not der Stunde machte aus dem Hort des Geistes ein Lazarett und einen Unterstand für die Armeepferde. Da sich nun Sieger in der Regel nicht damit zufrieden geben, auf erobertem Territorium die eigene Flagge zu hissen, wurde auf Anordnung eines Offiziers der komplette Satz der deutschen Patentschriften zum Abtransport bereitgestellt. Das Wertvollste jedoch wurde übersehen: die Kopien der 180000 in Strigau verlorenen Patentanmeldungen. Sie blieben unbeachtet im Keller liegen. Am 2. Juli 1945 tauchten andere Sieger auf. Die kauten zwar lässig chewing gum, aber sie verfügten über moderne Fotoapparate und gingen überraschend gründlich zu Werk. Ein gewisser Richard Spencer, Patentanwalt aus Chicago, war besonders fleißig und schickte monatlich 30000 Meter Mikrofilm in sein neugieriges Heimatland. Danach kam die Arbeit in der Gitschiner Straße faktisch zum Erliegen. Eine Wende trat erst ein, als Amerikaner und Briten mittels Proklamation im Februar 1948 dem deutschen Wirtschaftsrat das Recht zur Annahme und zum Erlaß von Gesetzen über Patente auf ihrem Kontrollgebiet überließen. Allerdings konnte keine Regelung gefunden werden, die auch das sowjetische Besatzungsgebiet miteinbezog. Deshalb nahm im Oktober 1949 das Deutsche Patentamt seine Arbeit in München auf, Berlin wurde dagegen zur »Zweigstelle« und übernahm die unbedenkliche Bearbeitung der Altschutzrechte. So litt auch das Berliner Patentamt der Nachkriegsjahre unter den unterkühlten Beziehungen der Siegermächte und spürte die frostigen Vorboten des Kalten Krieges. Erst mit Gorbatschow setzt politisches Tauwetter ein, und mit dem Schmelzwasser der einstigen Militärblöcke wird auch die Berliner Mauer weggespült. Die Deutschen kommen zu ihrer Einheit wie die Jungfrau zum Kinde. Gewichtige Persönlichkeiten rühmen sich der Vaterschaft. Wieder gibt es Gewinner und Verlierer. Das Patentamt mit seinem Doppelsitz in München und Berlin gehörte zu den Gewinnern. Ihm fiel mit dem 3. Oktober 1990 etwas ganz Besonderes in den Schoß: der gesamte Bestand des Patentamtes der DDR. Am 1. September 1998 wird in Jena eine Auskunftstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes eingerichtet. Im Jahresbericht 1999, also 50 Jahre nach seiner Wiedereröffnung, meldet das Deutsche Patentamt ein imposantes Ergebnis dieser gesamtdeutschen Tüftelei: 371816 Patente. Quellen:Deutsches Patent- und Markenamt, Jahresbericht 1999; DPA Forum, Heft 2/3, 1977 |