Kreuzberger Chronik
September 2001 - Ausgabe 30

Kreuzberger Echo

Christoph Bauers Kreuzberg-Roman


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von Marcel Arm Vranizky

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»Theater und Literaturwissenschaft», sagt der Protagonist in erster Person dann noch einmal kurz vor Schluß auf Seite 232, »studieren nur solche Leute, die selbst gerne schreiben würden, die sich aber eingestehen müßten, daß sie nicht das Zeug dazu hätten …« Das ist vielleicht nicht der schönste, der präziseste, der humorvollste oder der überraschendste Satz der 280 Seiten, doch es ist ein geschickter Schachzug kurz vor dem Finale. Denn diese schlichten Worte treffen all die mittelmäßigen Kritiker und ehemaligen Literaturwissenschaftler der mittelmäßigen Tageszeitungen mitten ins Herz.

Dieser Satz hat ihnen einen gewissen Respekt vor Autor und Buch abgezwungen – auch wenn der eine oder andere Nachwuchsranicki nun erst recht betont schnodderig anhob. Wie zum Beispiel Herr Askan Vierich von der zitty, der zu dem merkwürdigen Schluß kam, der Titel sei »ausgesprochen irreführend« und ließe unzweifelhaft auf »schmachvolle Pubertätsprosa oder Hinterhoflyrik« schließen. Wobei interessant ist, daß die Wortfolge »Jetzt stillen wir unseren Hunger« bei Herrn Askan Vierich offenbar keine anderen Assoziationen als die des Fleischeshungers hervorrief, überschrieb er doch seine Kritik mit den Worten: »Frisch aus deutschen Landen«. Insgesamt gab sich Vierich alle Mühe, neben Bauer nicht zu prosaisch auszufallen, sprach vom »Gedankenrauschen«, einer »Liebe ins Leere« und einem »Leben auf dünnem Eis«, ja, er schien am Ende geradezu gerührt und lobte das Buch »voller Haß und Liebe und Wahrheit. Und voller Poesie.«

Auch die anderen Berliner Zeitungen lobten Bauers Roman, doch sparten sie sich Interpretationen und Stilanalysen und zogen sich vorsichtshalber auf die Biographie dieses offenbar widerborstigen Autors zurück. taz, Morgenpost und Tagesspiegel berichteten vom Taxifahrer, Wissenschaftler, Originalkreuzberger Christoph Bauer, gaben brave Inhaltsangaben und zitierten ein wenig. Der Tagesspiegel angelte sich die »schönen sanft gewellten silbrig grau durchwirkten schwarzen« Haare aus der Liebesgeschichte und präsentierte sie als »Bauers Beschreibungsseligkeit«, und die Morgenpost ortete Poesie in dem Satz »Ich habe mich verliebt, sagte ich im Stillen immer wieder zu mir … ich habe mich verliebt …«. Dabei gibt es wirklich Poetischeres in Bauers Roman als die Wiedergabe dieses inneren Monologes, den wir alle schon gesprochen haben, zum Beispiel die Beschreibung des ungeliebten Ehemannes der Frau mit den grau durchwirkten Haaren: »Er hat ja nicht einmal Kaffee getrunken, nur immer seinen labberigen Tee, diese nassen, kraftlosen Teebeutel morgens in seiner halb leer getrunkenen Tasse …«

Der Mann ist Beamter, Bonner und Liberaler, und er gefällt dem Kreuzberger Protagonisten wenig, dieser Mann, dessen Namen nie erwähnt wird, aber der nach Ansicht des Erzählers eigentlich nur Dieter heißen kann, obwohl er »auch Hans Dietrich in die Wahl gezogen« hat, oder einmal kurz über Helmut, Heinz-Rüdiger, Hartmut, Winfried oder »Giesbert, auweia«, nachgedacht hat – »er heißt jedenfalls so wie diese dickbebrillten Streber, die wir als Kinder immer mitsamt ihren Schulranzen in die Mülltonnen geworfen haben, so wie Dieter, den wir regelmäßig in die Mülltonne geworfen haben, hingegen könnte er unter keinen Umständen Tom heißen, niemals, Tom heiße ich, Tom wirft Dieter in die Mülltonne, nicht umgekehrt.« Und Ende des VI. Kapitels.

So erzählt Bauer vor sich hin, und ähnlich wie die Geschichtenerzähler aus Becketts Romanen pendelt er frei irgendwo zwischen Wirklichkeit und Fiktion, ewig kreisend um sich und die Welt. Bauers Tom geht spazieren, ebenso tagträumend wie wachen Auges all die kleinen Episoden am Rande aufsammelnd, die am Ende den roten Faden des Lebens – oder zumindest eines Buches – ausmachen. »Leben im Kopf«, überschrieb deshalb Irmtraud Gutschke im »Neuen Deutschland« treffend ihre Kritik. Und sie machte darüber hinaus auf etwas aufmerksam, das den anderen Kritikern keine Zeile wert gewesen war: »In diesem Buch wird etwas im Leben seltenes vorgeführt: Zwei Menschen, die im Gespräch einander zuhören.«

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