Juni 2001 - Ausgabe 28
Strassen, Häuser, Höfe
Widerstand auf Straßenschildern (1): Reichpietschufer - Max Reichpietsch von Stephanie Jaeckel |
Revolutionäre tun sich bekanntlich schwer auf deutschen Straßenschildern. Auch in Kreuzberg kommen Oppositionelle meist nur als Naziopfer vor. Aber die Revoluzzer? Die lassen sich an den Fingern einer halben Hand abzählen. Einer davon ist Max Reichpietsch. Doch er war eher ein Revolutionär wider Willen. Und in Kreuzberg steht er auch gerade nur noch mit einer Zehenspitze. Denn der Kreuzberger Teil des Reichpietschufers ist sehr kurz: Kaum beginnt es an der Köthener Straße, mündet es nach knapp 200 Metern schon wieder in den Tiergarten. Kein Haus steht am Uferrand, nur der U-Bahnhof Mendelssohn-Bartholdy-Park spuckt in regelmäßigen Abständen Passanten aus. Frauen in luftigen Kostümen und Herren, deren bunte Krawatten wie Wimpel im Sommerwind flattern, überqueren den kurzen Kreuzberger Bürgersteig in Richtung Nachbarbezirk, wo sich die Straße in eine feinere Gegend der Hauptstadt ausstreckt, vorbei am Potsdamer Platz, am Kulturforum, hinein ins neue Botschaftsviertel. Daß die Uferpromenade ein prominentes Stück Straße ist, beweisen jedoch nur elegante Flaneure: Vier Namen hat sie in den vergangenen 133 Jahren getragen, und das ist – jedenfalls für Straßen – eine ganze Menge. 1867 – die Uferstraße war gerade frisch neben dem neuen Landwehrkanal angelegt worden – kam die Idee aus dem Stadtschloß, sie nach der Königin zu benennen. Eine städtebauliche Glanzleistung brauchte schließlich einen besonderen Namen. Und so hieß das nördliche Ufer zunächst Königin-, ab den 70er Jahren dann Kaiserin-Augusta-Promenade. 1933 war damit Schluß. Schon am 7. Dezember wurde sie noch einmal umbenannt, was zeigt, wie eilig es die neuen Machthaber hatten, Militarismus zu propagieren. Man benannte die Straße nun nach Alfred von Tirpitz, der Kaiser Wilhelm II. eine Schlachtflotte entwarf und ihr später als Großadmiral vorstand. Schließlich hieß das nationalsozialistische Programm nicht Monarchie, sondern Krieg. Daß 1947 ausgerechnet ein meuternder Matrose seinen Dienstherrn Tirpitz vom Straßenschild verdrängte, mag als gelungener Schachzug des Schicksals gesehen werden. Für Max Reichpietsch sicher wenig Trost, bezahlte er doch seinen Oppositionsgeist mit dem Leben. Es war im Sommer 1917, als die kaiserliche Flotte tatenlos in den Häfen von Kiel und Wilhelmshaven vor Anker lag. Sie kam nicht zum Einsatz, denn statt für eine von Tirpitz geplante Entscheidungsschlacht in der nahen Nordsee hatten sich die Engländer für eine Blockade in weiter Ferne entschieden. So mußte sich die deutschen Marine aufs Warten verlegen, denn ihre schweren Schlachtschiffe waren auf offener See nur schwer zu manövrieren. Entsprechend war die Laune an Bord. Die Mannschaft verbrachte die Tage unter Deck, Landgang oder Heimurlaub waren untersagt. Dabei wußten alle, daß der Krieg längst verloren war. Das Essen war miserabel, seit dem Winter herrschte Hunger im Deutschen Reich. Matrosen und Heizer wurden vom Dörrgemüse nicht mehr satt, lediglich die Offiziere kamen noch in den Genuß von Fleisch und frischem Gemüse. Zu alledem mußten die Matrosen stundenlangen Exerzierdienst ertragen, wo sie nicht selten von ihren satten Offizieren beschimpft und schikaniert wurden. Foto: Nikolaos Topp
Ein Zeuge im Prozeß, der USPD-Abgeordnete Dittmann, erinnerte sich später: »Reichpietsch machte den Eindruck eines sehr geweckten, frischen jungen Mannes, war aber politisch völlig ungeschult und unerfahren (…) Da er schon 1912 als Achtzehnjähriger freiwillig in die Marine eingetreten war, hatte es ihm an jeder Gelegenheit und politischen Schulung gefehlt, so daß er 1917 als Dreiundzwanzigjähriger auch von den damals aktuellen politischen Fragen nur ganz naive und unklare Vorstellungen besaß.« Max Reichpietsch hatte gegen seine schlechten Arbeitsbedingungen opponiert. Verurteilt aber wurde er als Revolutionär. Umsonst. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen auf den Schiffen änderten sich nicht. Die stolze Flotte lag weiter tatenlos in den deutschen Häfen, das Essen blieb schlecht, Urlaub gab es nicht. Am Ende der Geschichte stehen ein verlorener Krieg und eine Revolution – ausgelöst von unzufriedenen Matrosen. Das Nachkriegs-Berlin hat die beiden erschossenen Matrosen Reichpietsch und Köbis mit Straßen geehrt. Dabei wird ihrem gemeinsamen Tod sogar das Straßenbild gerecht: denn an seinem Ende, wo die Fahrbahn des Reichpietschufer in die Von-der-Heidt-Straße übergeht, biegt der Fahrradweg leise in den Schatten der Köbisstraße ab. Literatur: Cornelia Carstens, »Traditionsbrüche und Vergangenheitsbewältigung«, in: »Sackgassen. Keine Wendemöglichkeit für Berliner Straßennamen«. Herausgegeben von der Berliner Geschichtswerkstatt. Berlin 1988. S. 101-109. Zum – |