Juli / August 2001 - Ausgabe 29
Strassen, Häuser, Höfe
Widerstand auf Straßenschildern (2): Mehringdamm - Franz Mehring von Werner von Westhafen |
Er paßt nicht in die Ecke mit den Ikonen preußischer Feldherren, nach denen man die breiten Boulevards Kreuzbergs benannt hat: Gneisenau, Blücher und Yorck. Obwohl auch er ein Kämpfer war. Aber während es den Generälen der sogenannten Freiheitskämpfe um die Befreiung von Napoleon und damit um den Erhalt des preußischen Status Quo ging, sah Franz Mehring eine seiner Hauptaufgaben darin, mit der Glorifizierung des Preußentums und dem Mythos vom Alten Fritz aufzuräumen. Man fragt sich, welche Eingebung da die Stadtväter bewegte, im Jahr 1947 die ehemalige Tempelhofer und später glorreiche Belle-Alliance-Straße, auf der der Kaiser seine glanzvollen Militärparaden abhielt, nach einem echten Revolutionär zu benennen. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin widmete man Straßen im Ostteil der Stadt. Franz Mehring ist der einzige aus der Verschwörerrunde, dessen man im ehemaligen Westen Berlins gedachte. Doch ein Straßenschild allein rettet vor dem Vergessen nicht: Während die Namen Liebknechts und Luxemburgs noch heute für den Widerstand stehen, kennt Franz Mehring kaum jemand mehr. Franz Mehring, geboren im Februar 1846 in einer hinterpommerschen Kleinstadt namens Schlawe, war kein geborener Revolutionär, und seine Vita war kein Stoff, aus dem man Helden macht. Er war kein Kind der Arbeiterklasse, sondern der Sohn eines preußischen Offiziers. Sozialistische Parolen gab es in seinem Elternhaus keine. Mehring studierte Klassische Philologie in Leipzig und Berlin und brach erst im Alter von 23 Jahren das Studium ab, um die harmlose Feder zur Waffe zuzuspitzen. Er begann zunächst, die Philosophen Lassalle, Engels und vor allem Marx zu interpretieren, und schrieb als Journalist für »Die Zukunft«, eine sogenannte »radikaldemokratische« Tageszeitung. Mehring blieb diesem Beruf Zeit seines Lebens treu, ohne sich je von seinen Arbeitgebern vereinnahmen zu lassen. Er sagte, was er dachte, und erweckte damit Mißtrauen im eigenen Lager. 1875 wandte er sich im Kampf gegen Korruption und Parteifilz in einem bösartigen Artikel gegen den Herausgeber der »Frankfurter Zeitung«. Das zog den Zorn vieler Parteigenossen auf ihn, denn die »Frankfurter Zeitung« stand auf der Seite der Sozialdemokraten. Und als er in der »Neuen Zeit«, der »Revue des geistigen und öffentlichen Lebens«, die seit 1888 seine theoretischen Beiträge zum Sozialismus veröffentlichte, immer rücksichtsloser Kritik übte, sprach man ihm das langjährige Vorrecht, seine Artikel direkt an die Druckerei zu schicken, wieder ab. Dabei galt gerade die »Neue Zeit« als weltoffen. Sie beschäftigte noch eine andere kritische Schreiberin, mit der Mehring Zeit seines Lebens durch eine eigenartige Freundschaft verbunden blieb: Rosa Luxemburg. Der erste Besuch der jungen Journalistin im Haus der Mehrings im noblen Steglitz irritierte die Proletarierin und erweckte auch bei ihr Mißtrauen. Zwar bewunderte sie die vielen Bücher in den Regalen, das freundliche Zimmer voller Blumen, den großen Schreibtisch – aber das Haus verströmte unzweifelhaft die Atmosphäre der Bourgeoisie. Dennoch verstanden sich die beiden und begannen, einander Bücher zu leihen. Einige Jahre später bot man dem ungleichen Paar die Leitung der »Leipziger Volkszeitung« an. Der Posten schien Rosa Luxemburg unangemessen, sie zweifelte daran, daß ein geregeltes Einkommen und eine »gutbürgerliche Existenz« mit ihren Idealen vereinbar seien. Aber Mehring überredete die junge Journalistin. Als ihre Mitarbeit bei der Volkszeitung bekannt wurde, drohte ihr der Parteivorstand mit dem Ausschluß aus der Partei. Mehring jubelte und gratulierte der Genossin, daß schon allein ihr Name ausreiche, »den patriotischen Heldenherzen Furcht einzuflößen«. Doch nicht lange, da gerieten sie in Streit. Rosa Luxemburg sei herrschsüchtig, sagte der eine, und die andere behauptete, ihr Genosse sei gallig und schwer zu ertragen. Als Mehring eines Tages hinterrücks einen ihrer Beiträge redigierte, schrieb seine Mitarbeiterin ihm einen Brief: »Sehr geehrter Herr Doktor! Die Art und Weise, wie Sie meinen Polenartikel verstümmelt haben, (…) betrachte ich als eine absichtliche Provokation. (…) Ich kündige Ihnen hiermit die Freundschaft, die aufrechtzuerhalten mich schon seit einiger Zeit große Selbstüberwindung kostete (…).« Jahre später schreibt sie darüber: »Als meine Freundschaft mit Mehring die heißeste Zeit durchmachte und die Gegend zwischen Steglitz und Friedenau (allwo ich noch wohnte) eine tropische Landschaft darstellte, in der der Elephas primigenius (der Urelefant) graste, mußte das tropische Klima jäh der ersten Gletscherperiode weichen, und meine dicke Gertrud mußte mit einem Waschkorb voll erhaltener Geschenke und geliehener Bücher nach Steglitz wandern.« Auch Rosa erhielt einen ganzen Waschkorb Bücher zurück, die sie ihrerseits Mehring geliehen hatte. Im Lauf der Jahre sollen viele solcher Waschkörbe aus den beiden Häusern hin- und hergewandert sein. In den entscheidenden Momenten im Leben des Franz Mehring jedoch war sie an seiner Seite. Auch auf dem Parteitag 1903, als man ihm öffentlich das Mißtrauen aussprach. Mehring hatte sich in einem bösartigen Artikel gegen einen Kollegen, den sozialdemokratischen Journalisten Bernhard gewandt, der in der parteinahen »Zukunft« vom »Recht der Führer zur Lüge im Interesse der ihnen anvertrauten Parteiherde faselte …«. Der Parteivorstand selbst, August Bebel, hatte den Unbeugsamen zum Parteitag geladen. Mehring solle die Chance nutzen und die Dinge ins rechte Licht rücken. Doch im Saal hatte sich bereits eine breite Front gegen den Kritiker aus den eigenen Reihen gebildet, sodaß am Ende auch August Bebel Mehrings Aufrichtigkeit bezweifelte und ihn als »psychologisches Rätsel« bezeichnete. Vielleicht in diesem Moment wurde aus dem stets abwägenden, distanzierten Beobachter Franz Mehring jener radikale Sozialdemokrat, der sich 1916 dem Spartakusbund anschloß. Der Weg dahin war geradlinig und konsequent, doch lang und schwer. Auf dem Parteitag hatte Mehring erklärt, seine Tätigkeit für die »Neue Zeit« und die »Leipziger Volkszeitung« vorerst einzustellen. Rosa schrieb: »Aber das wäre ja ein Debakel! – Ein Triumph für den fünften Stand!« Und einige Jahre später, als noch einmal Intrigen sich um Mehring ranken, schreibt sie: »Jeder anständige Mensch in der Partei, der nicht geistiger Knecht des Parteivorstandes ist, wird auf Ihrer Seite stehen. Aber wie dürfte all das dazu führen, daß Sie einen so hochwichtigen Posten hinschmeißen! (…) Lachen Sie über die Erbärmlichkeiten und schreiben Sie weiter so, daß uns allen das Herz im Leibe lacht!« Mehring hörte auf sie, er schrieb weiter. Seit Jahren hat er an seiner Marx-Biographie gearbeitet. Seinem Lebenswerk. Es erscheint, als Liebknecht und Luxemburg bereits im Gefängnis sitzen. Die Gefangenen gehören zu seinen ersten Lesern. Luxemburg schreibt ihm aus dem Gefängnis: »Ich verspreche mir eine tiefe, aufrüttelnde Wirkung von dem Buche.« Und Liebknecht war »mehrere Tage wie betrunken(…)«. Wenig später werden die beiden ermordet. Mehring ist 73 Jahre alt, und man verheimlicht die traurige Nachricht vor ihm. Er erfuhr es dennoch, und folgte ihnen schon wenige Tage später – in die Geschichte. (Literaturnachweis: Jakow Drabkin, »Die Aufrechten«, Dietz Verlag, Berlin 1988; Allgemeine Deutsche Biographie, Lpzg., Drucker und Humblot) Zum – |