Juli / August 2001 - Ausgabe 29
Essen, Trinken, Rauchen
Zwischen Indien und Kreuzberg: das »Amrit« von Achim Fried |
Das »Amrit« ist ein indisches Restaurant. Aber in Indien würde man dergleichen nicht finden. Das Amrit ist eine Mischung aus Indien und Kreuzberg, eher ein Szenelokal als ein indisches Restaurant. Keine Sitarklänge umsäuseln das Ohr, sondern die lebhafte Geräuschkulisse von 50 weniger in meditative Nahrungsaufnahme als in lebhafte Diskussionen verstrickten Tischgenossen. Die asiatischen Attribute sind unaufdringlich und verbergen sich in kunstvollen Orchideenkreationen, die aus den hohen Vasen ragen, unter den weit ausladenden Lüstern baumeln wie Bananenblüten drei große weiße Lampengläser, und acht auf dem eisernen Ständer aufgereihte Kerzen werfen ihr Licht an die Wände und geben dem Gelb einen Anschein von Gold. Gäbe es hinten ein Billardzimmer und einen Rauchsalon, könnte das Amrit mit seiner großen Bar im Indien der Kolonialzeit liegen. Immerhin sechs Sorten Whiskey stehen vor dem Spiegel, darunter Marken, die einst schon die Engländer in Bombay zur Verdauung ihres Chicken Saags oder Tandori Chickens bevorzugten. Auch Mokka, Espresso, Milchkaffee und sogar Körnerkaffee für die Kreuzberger bieten die Gastronomen zum Anregen der Verdauungssäfte und der geistigen Regsamkeit an. Auch Apéritif und Digestif sind keine Fremdwörter für den Kreuzberger Inder, und selbst auf südamerikanische Einflüsse in der erfreulichen Form braunen und weißen Tequillas braucht der Gast nicht zu verzichten. Zeichnung: Nikolaos Topp
Manch einer saß da schon stöhnend vor dem schier unüberwindbaren Fleischberg. Doch auch, wenn es im Amrit etwas feiner zugeht als in den indischen Symbiosen von Imbiß und Restaurant, so liegt es doch mitten in Kreuzberg. Schon des öfteren wurde beobachtet, wie der aufmerksame Nachbartisch dem schwer Kämpfenden seine Hilfe anbot und dem überforderten Gast ein Stück vom Hammel, Huhn, Schwein und Ochsen abnahm. So fühlen sie sich wohl, die vielen allabendlichen Gäste – auch wenn die hin- und hersausenden Kellner in der vielen Eile schon das asiatische Lächeln verloren haben. Aber darüber hat sich noch niemand beschwert – außer vielleicht dem Mann mit den zerfledderten Obdachlosenzeitungen. Der blieb nur eine halbe Minute – dann fand er sich auf der Oranienstraße wieder. Der Verband, mit dem er den halben Kopf umwickelt hatte, hätte einigen Gästen aber auch wirklich den Appetit verderben können. <br> |